LESERINNENBRIEFE
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Präsident der Konfessionslosen

■ betr.: Staat und Religion

Ich würde Sie gerne darum bitten, zukünftig darauf zu achten, dass nicht mehr die Staatsangehörigkeit mit der Religionszugehörigkeit vermischt wird.

Ich bin Deutsche und keine Christin und möchte nicht pauschal unter einer angenommenen Religionszugehörigkeit verbucht werden. Ich würde es begrüßen, wenn die Türken, Araber, Iraner, Polen, Holländer, Vietnamesen usw., die hier leben, als solche bezeichnet werden und nicht als Christen, Juden oder Muslime, wobei die vielen anderen hundert möglichen Religionen, denen sie angehören mögen, gar nicht erst erwähnt werden. Vollkommen außen vor bleiben die Konfessionslosen, die zumindest in Großstädten die Mehrheit unter allen Nationalitäten bilden dürften.

Die Menschen- einschließlich der Frauenrechte haben wir der Aufklärung zu verdanken und keiner „christlich-jüdischen Leitkultur“. Insofern wäre Herr Wulff zu korrigieren: Entweder er begrüßt nicht nur eingeborene Deutsche als Präsident, sondern auch die vielen anderen hier lebenden Nationalitäten oder er erwähnt außer dem Islam, dem Voodoo und anderen praktizierten Religionen auch die Konfessionslosen. HELKE SANDER, Dähre

Religionsfreiheit

■ betr.: „Merkel erklärt Multikulti für gestorben“, „Merkels ‚Multikulti-Eiapopeia‘“, taz vom 18. 10. 10

Wie kann eine Kanzlerin, die „die Kanzlerin aller Deutschen“ sein wollte, sich auf das „christliche Menschenbild“ versteifen? Dabei übersieht sie, dass inzwischen vier Millionen Muslime in Deutschland leben, von denen die Hälfte die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.

Während die beiden großen Kirchen in Deutschland einen langsamen, aber stetigen Mitgliederschwund zu verzeichnen haben, gewinnt der Islam in seinen verschiedenen Strömungen zunehmend an Bedeutung. Und in Deutschland besteht nach dem Grundgesetz Religionsfreiheit! Nur bei freier Religionsausübung kann die Integration gelingen.

Was die Kanzlerin (und ihre CDU) außerdem übersieht, ist, dass inzwischen mehr Menschen aus Deutschland auswandern als einwandern. Es geht also kein Weg daran vorbei, eine gezielte Einwanderung zu fördern und gleichzeitig in die Bildung zu investieren, um dem von der Wirtschaft beklagten drohenden Arbeitskräftemangel abzuhelfen. Sonst schafft sich Deutschland tatsächlich selbst ab, wenn auch anders, als Herr Sarrazin meint.

HELGA SCHNEIDER-LUDORFF, Oberursel

Praktikum = Billig-Arbeitskräfte

■ betr.: „Qualifikation muss entscheidend sein. Eine Rechtsanspruch auf Anerkennung genügt nicht“, taz vom 19. 10. 10

Martina Müller-Wacker macht sich Gedanken über die mangelhafte Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse auf dem deutschen Arbeitsmarkt und sie schlägt sogar vor, was dagegen zu tun wäre, nämlich „Brückenprogramme“ auszubauen. Praktika, meint sie, könnten „wertvolle Maßnahmen“ sein.

Ist ihr schon einmal zu Ohren gekommen, was die Masse der bedauerlichen Einzelfälle auf Arbeitgeberseite unter dem Stichwort Praktikum versteht? Doch wohl vor allem die zeitweilige Beschäftigung überqualifizierter Billig-Arbeitskräfte. In diesem Sinne recht wertvoll, aber für die Falschen. GERD WAHLENS, Marl

Verächtlicher Zynismus

■ betr.: „Innenpolitik in Ankara“, Text unter dem Foto,taz vom 20. 10. 10

Bisher weiß ich ja den bisweilen humorvollen, ironischen Ton der taz überwiegend zu schätzen. Der Bild-Kommentar unter dem Foto der Präsidentenpaare von Deutschland und der Türkei („Bettina verrät Hayrunissa ihr Rezept für Schweinebraten in Rotwein“) ging aber meines Erachtens deutlich zu weit und hat sich auf einem sowohl frauenfeindlichen als auch islamverachtenden Niveau bewegt, das ich einfach nicht unkommentiert tolerieren kann.

Wenn Ironie in verächtlichen Zynismus kippt, erscheint mir das für eine ambitionierte Zeitung äußerst bedenklich.

MARIA PAGÉS, Karlsruhe