Wahrheit durch Bilder

Zum 60. Jahrestag der Nürnberger Prozesse zeigt Arte die Doku „Verurteilt zum Tode durch den Strang“ (20.40 Uhr)

„La Vérité par l’Image“, die Wahrheit durch das Bild, heißt das Buch des Pariser Historikers Christian Delage über die Instrumentalisierung von Bildmaterial von den Nürnberger Prozessen bis hin zum Verfahren gegen den serbischen Expräsidenten Slobodan Milošević vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien. Nur passend, dass er sich des Themas auch in einer Fernseh-Dokumentation angenommen hat, hier allerdings mit dem Schwerpunkt Nürnberger Prozesse.

In den Nürnberger Prozessen betrat man nicht nur juristisches Neuland – das Tribunal im Justizpalast der ehemaligen Stadt der Reichsparteitage war das erste der internationalen Strafjustiz – auch arbeitete man damals schon mit modernen medialen Techniken: Die als Courtroom-Drama für die Weltöffentlichkeit gestaltete Verhandlung verfügte über eine Filmleinwand im Zentrum des Geschehens, drei fest installierte Kameras, Scheinwerferbatterien und Spots über den Angeklagten.

Jeder kann sich an die Aufnahmen von Göring, Heß und Ribbentrop erinnern, mit Kopfhörern und Sonnenbrillen auf der Anklagebank sitzend, weil erstmals das Medium Film Einzug in den Gerichtssaal gehalten hatte – zum einen als Mittel der Dokumentation des gesamten Verfahrens, zum anderen als Teil der Beweisführung: Die angeklagten Nazi-Größen waren im Scheinwerferlicht zu sehen, als der mit eidesstattlichen Erklärungen des Machers versehene Dokumentarfilm „Nazi Concentration Camps“ Bilder von Leichenbergen aus Dachau, Buchenwald und Bergen-Belsen zeigte. Auch wenn der Film des US-amerikanischen Starregisseurs John Ford bereits in Kinos gezeigt worden war: Die Täter sollten öffentlich mit ihren Taten konfrontiert werden – die Dokumentation zeigt mal ausdruckslose Gesichter, mal gesenkte Köpfe.

Insgesamt zehn Filme, darunter auch ein sowjetischer mit Luftaufnahmen von Auschwitz-Birkenau und Details exhumierter Massengräber, wurden im Prozess verwendet. Christian Delage bedient sich ihrer und der Mengen bisher unveröffentlichten filmischen Prozessmaterials, um die seinerzeitige Bedeutung des Tribunals zu durchdringen: ein Ereignis, das die Weltöffentlichkeit in seinen Bann gezogen hatte – und erschütterte.

Unbewegte Täter, wie der als Zeuge geladene Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß, auf Unschuld plädierende Verbrecher wie Göring, von ihren Emotionen überwältigte und trotzdem aussagende Opfer. Die Wahrheit dieser Bilder geht unter die Haut.

MARTIN REICHERT

Die ARD zeigt mit dem Zweiteiler „Görings letzte Schlacht“ von Michael Kloft ebenfalls eine Doku zu den Nürnberger Prozessen. Teil 1: heute um 23.15 Uhr, Teil 2: 11. 10. um 23.40 Uhr