Kaczyński entschuldigt sich

Nachdem die Kaczyński-Zwillinge den „Videoskandal“ tagelang als Provokation der Geheimdienste bezeichnet hatten, gab der Regierungschef nun erstmals einen Fehler zu

WARSCHAU taz ■ Die beste und zugleich lächerlichste Ausrede im Skandal um den versuchten „Kauf“ einer Abgeordneten durch die Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) wurde dem polnischen Volk am Freitag aufgetischt: Die PiS, so Fraktionschef Marek Kuchcinski, sei von der liberalen Bürgerplattform (PO) zur Korruption gezwungen worden. So viel Unglaubwürdigkeit war dem Parteichef dann offenbar doch zu viel. Am späten Freitagabend legte sich Ministerpräsident Jarosław Kaczyński für einen Auftritt im Staatsfernsehen den Schafspelz an und sagte sanft, ja fast demütig: „Wir entschuldigen uns bei allen, die etwas gesehen haben, was sie beunruhigt hat.“ KaczyńĽski sagte weiter: „Wir wollten nur das Gute denn wir wollten eine Mehrheit für jene Regierung, die Polen verändert.“ Dabei seien allerdings die Grenzen des guten Geschmacks überschritten worden. Um dies in Zukunft zu verhindern, soll das Wahlgesetz geändert werden.

Kaczyński will durchsetzen, dass in Zukunft bei Parlamentswahlen die stärkste Partei automatisch mehr als 50 Prozent der Sitze bekommt. Damit wären in Zukunft keine Koalitionsverhandlungen mehr nötig. Vor einem Jahr hatte die PiS mit etwas weniger als einem Viertel der abgegebenen Stimmen etwas mehr als ein Drittel der Sitze im Sejm (154 von 460) erobert. Dies, das musste Kaczyński feststellen, genügt allerdings nicht, um dem Parlament die eigene Wahrheit aufzuzwingen.

Bei dem Fernsehauftritt von Freitagabend versprach Polens Premier, er werde sich an die demokratischen Spielregeln halten und sich nicht, wie am Freitag in einem Interview mit der Tageszeitung Rzeczpospolita dunkel angedeutet, einen Staatsstreich als letzten Ausweg vorbehalten. „Entweder erreichen wir eine parlamentarische Mehrheit, oder es gibt Neuwahlen“, versprach Kaczyński. Für die Koalitionsverhandlungen, die seiner Auffassung nach ursprünglich nur ein paar Tage dauern sollten, will sich der Stratege hinter der rechtsextremen polnischen Wende allerdings, wenn nötig, über den 10. Oktober hinaus Zeit nehmen. Noch am Donnerstag hatte sich die PiS mit der Opposition auf dieses Stichdatum geeinigt. Dieser Kompromiss soll nun offenbar von Regierungsseite wieder gebrochen werden.

Die durch den „Videoskandal“ beflügelte Opposition griff am Samstagabend auch Kaczyńskis Vertrauten aus Vorwendezeiten, Vizeverteidigungsminister Antoni Macierewicz, an. Kaczyński hatte ihn damit beauftragt, den 1991 gegründeten Armeegeheimdienst (WSI) abzuwickeln. Im WSI soll laut der PiS ein mafiöses, postkommunistisches Netz gewuchert haben, das Staat, Wirtschaft und Medien unterwanderte. Beweise für diese These stellte Macierewicz nun am Samstag vor – ohne allerdings Namen zu nennen. „Anstatt den Staat zu schützen, hat der WSI die Sicherheit bedroht“, sagte Macierewicz. Seinen Anspielungen zufolge wurden Parteien und wichtige Medien bis zum heutigen Tag kommunistisch unterwandert. Macierewicz kündigte Anzeigen an und forderte die Agenten innerhalb der Medien dazu auf, sich selbst zu enttarnen. „Macierewicz ist an einem Klima allgemeiner Verdächtigungen gelegen“, kritisierte Jan Rokita von der liberalen Bürgerplattform. Die Opposition vermisste gestern konkrete Beweise für die Anschuldigungen. Macierewicz wiederum beruft sich auf das Staatsgeheimnis. Seinen Bericht will er allerdings nächste Woche dem Premier und seinem Bruder, dem Präsidenten, übergeben. Den Kaczyńskis dürfte dieser Geheimbericht in Zukunft beim Kampf um die Macht im Staat noch gute Dienste leisten.

PAUL FLÜCKIGER