Eine Dattel und etwas Wasser

Es gibt immer mehr Deutsche ohne islamischen Hintergrund, die den Ramadan begehen. Sei es, weil sie muslimische Pflegekinder haben, sich für den Islam interessieren oder in dem Fastenmonat eine Art Multikultidiät sehen. Eine Anleitung zum Fastenmonat

VON MARIUS MEYER

Der Ramadan ist der neunte Monat im islamischen Mondkalender und dauert 29 oder 30 Tage. In ihm sollen Muslime fasten, sich von falschen Handlungen abwenden und so ihre Gottesfurcht zeigen. In diesem Jahr begann der Ramadan am 24. September.

Wer kann teilnehmen?

Eigentlich jeder. Für Muslime wird die Teilnahme am Ramadan religiöse Pflicht, wenn sie die Pubertät erreichen. Diese gilt als Eintritt in die Mündigkeit. Allerdings werden islamische Pflichten recht pragmatisch gestaltet. Wer körperlich dazu nicht in der Lage ist, darf nicht fasten. Kranke und Altersschwache dürfen deswegen genauso essen und trinken wie Schwangere und Stillende. Frauen müssen auch während der Menstruation nicht fasten. Wer chronisch krank ist, soll für jeden Ramadantag, an dem er nicht gefastet hat, einen Bedürftigen speisen. Kranke, die wieder gesunden, sollen verpasste Fastentage nachholen.

Kinder werden angehalten, so viele Tage am Ramadan teilzunehmen, wie sie können. Sie sollen sich so nach und nach an das Fasten während des ganzen Monats gewöhnen.

Früh aufstehen

Sie werden nicht drum herumkommen: Sie müssen sehr früh aus dem Bett. Kurz vor Sonnenaufgang heißt es nämlich noch mal essen und trinken. Nachdem „ein weißer Faden von einem schwarzen“ wieder zu unterscheiden ist, ist das nicht mehr erlaubt, bis die Sonne wieder untergeht. So schreibt es der Koran vor. Das bedeutet am heutigen Montag, dass Sie, falls Sie in Berlin leben, ab 5.17 Uhr nichts mehr essen dürfen, bis 18.42 Uhr. In den Moscheen finden Sie Flyer, in denen die genauen Uhrzeiten für Ihre Stadt angegeben ist. Auch Rauchen und Sex sind tagsüber untersagt. Anders als Innenminister Wolfgang Schäuble sollten Sie muslimischen Freunden während des Tages keine Getränke auf den Tisch stellen. Außerdem sollte man während des ganzen Monats weder lügen und lästern noch etwas Schlechtes denken oder etwas „Verwerfliches“ anschauen. Diese Vorschrift führt auch zu einer verstärkten Geschlechtertrennung. So bauen manche türkischstämmigen Frisöre in Berlin Sichtblenden zwischen dem Damen- und dem Herrenbereich auf.

Ramadan in Europa

Die zeitliche Vorschrift stellt muslimische Europäer vor gewisse Probleme. Während in der arabischen Welt die Sonne recht früh und schnell untergeht, geht sie hier sehr spät unter und der Sonnenuntergang dauert länger. Wenn der Ramadan, der im gregorianischen Kalender jedes Jahr zehn bis elf Tage früher beginnt, in die Zeit der Mitternachtssonne fällt, wird es für skandinavische Muslime besonders kompliziert. Sie richten sich dann meist nach den Zeiten des jeweiligen Ursprungsland oder des nächstgelegenen islamischen Landes. Einen Vorteil haben Europas Muslime dennoch: In den meisten islamischen Ländern ist es heißer, der Verzicht auf Wasser ist besonders schwierig.

Beten

Nach dem täglichen Fastenbeginn gehen die Männer zum Morgengebet in die Moschee. Frauen dürfen zwar auch in das Gebetshaus gehen, bleiben meist aber zu Hause und beten dort.

In der Moschee wird neben dem Gebet auch aus dem Koran vorgelesen. Insgesamt wird er im Ramadan einmal komplett vorgetragen. Sie werden davon nur etwas verstehen, wenn sie die arabische Sprache beherrschen. Falls Sie sich in einer türkischen Moschee aufhalten, sind sie aber nicht die einzige Person, der es so geht. Die meisten nichtarabischen Muslime lernen zwar den Wortlaut der Offenbarung und kennen den Sinn der Suren, verstehen aber kein Arabisch.

Fastenbrechen

Nach Sonnenuntergang dürfen Sie wieder essen und trinken. In den muslimischen Ländern wird der Moment des Fastenbrechens, Iftâr, durch einen Gebetsruf gekennzeichnet, der auch im Fernsehen übertragen wird. In Kairo wird aus einer alten Kanone, die in der Zitadelle über der Stadt steht, ein Schuss abgefeuert.

Nach dem Vorbild Mohammeds essen Sie zuerst eine Dattel, trinken etwas Wasser und nehmen dann am Abendgebet teil. Danach treffen sich die meisten Muslime mit ihren Familien, Freunden oder Nachbarn, um ausgiebig zu speisen. In vielen Moscheen brechen die Gemeindemitglieder gemeinsam das Fasten. Fragen Sie nach, ob sie in einer Moschee in Ihrer Nähe daran teilnehmen können. Dafür eignet sich besonders der morgige 3. Oktober, an dem der „Tag der offenen Moschee“ stattfindet. Daran nehmen bundesweit rund 1.000 Gotteshäuser teil.

Den Hinweis Mohammeds, man solle den Magen zu einem Drittel mit Nahrung, zu einem weiteren Drittel mit Flüssigkeit füllen und den Rest leer lassen, übersehen viele. In den Krankenhäusern der islamischen Städte füllen sich die Wartezimmer während des Ramadan mit Menschen, die entweder zu stark gefastet oder beim Fastenbrechen schlicht zu viel gegessen haben. Viele nehmen während der Nacht mehrere üppige Mahlzeiten zu sich.

Arbeiten im Ramadan

Das Fastenbrechen ist das Highlight eines Ramadantages. In Kairo löst sich kurz vorher der wild hupende Straßenverkehr, der sonst den Charakter eines gordischen Knotens hat, geradezu in Luft auf. Das ständige Chaos, in dem die vielen Polizisten in ihren weißen Uniformen wie deplatzierte Statisten herumstehen und nicht mal so tun, als hätten sie die Straßen unter Kontrolle, verschwindet wie auf einen Schlag. Bis auf einige wenige schwarz-weiße Taxen, deren Zustand jeden deutschen TÜV-Inspektor erbleichen lassen würde, leeren sich die Straßen. Die Fahrer rasen mit Höchstgeschwindigkeit über die Nil-Brücken, weil sie vor dem Fastenbrechen noch eine Fahrt schaffen wollen. Wer in diesem Moment ein Taxi für eine weite Fahrt buchen möchte, muss tief in die Tasche greifen. Tankstellen, Apotheken und selbst 24-Stunden-Geschäfte schließen.

In der islamischen Welt drückt der Ramadan auch dem restlichen Tag seinen Stempel auf, die Tageszeiten werden im Grunde auf den Kopf gestellt. Jeder versucht, seine Aktivitäten in die Nacht zu verlegen. Es scheint niemanden zu stören, wenn morgens um vier Wohnungen renoviert werden. In Fabriken und Ämtern werden die Arbeitszeiten reduziert, manche Angestellte gehen kaum oder gar nicht zur Arbeit. Im vergangenen Jahr ermahnte Scheich Mohammed Said Tantawi, Großimam der Al-Ashar-Moschee, die als Zentrum des sunnitischen Islam gilt, die Gläubigen, dass sie auch im Ramadan ihrem normalen Leben nachgehen müssen, dass der Fastenmonat kein Urlaub sei.

Tue Gutes

Muslime sind im Ramadan noch mehr als sonst gehalten, Gutes zu tun. Sie glauben, dass eine gute Tat während des Ramadan zehnmal stärker belohnt wird als in anderen Monaten. Ein guter Anlass auch für Sie, über Ihren Umgang mit Mitmenschen nachzudenken.

Märtyrer-Monat

Muslime glauben ferner, dass es eine besondere Ehre sei, während des Ramadan ins Paradies zu kommen. Hier kommen leider die modernen Dschihadisten ins Spiel. Sie sind überzeugt, dass jemand, der bei der Verteidigung der Religion als „Märtyrer“ stirbt, direkt und ohne Prüfung ins Paradies einzieht. Den Hinweis, dass im Fastenmonat nicht gekämpft werden soll, kontern sie damit, dass Saladin in dieser Zeit erfolgreich gegen die Kreuzritter gekämpft und sogar Mohammed im Ramadan einen Angriff gegen seine Feinde geführt habe. Dies führte dazu, dass während des vergangenen Ramadan im Irak besonders viele Selbstmordattentate verübt wurden.

Ende des Ramadan

In den letzten Tagen des Ramadan liegt die Nacht, in der sich die erste Offenbarung von Koransuren an Mohammed jährt. Das genaue Datum ist nicht überliefert, es soll sich aber um einen ungeraden Monatstag handeln. Am Beginn des folgenden Monats Shawwal findet das zweitägige „Eid al-Fitr“ (türkisch „Ramazan Bayrami“) statt, das Fest des Fastenbrechens. Das Ende des Fastenmonats wird durch die erste Sichtung der Neumondsichel gekennzeichnet, in Europa voraussichtlich der 24. Oktober. Das Fest wird mit Süßigkeiten gefeiert, weswegen es auch „Zuckerfest“ genannt wird. Am ersten dieser Tage sollten Sie unbedingt sofort etwas essen. Pakistanische Muslime erzählen nämlich ihren Kindern, dass an diesem Tag der Teufel fastet. Und gemeinsam mit dem sollte niemand das Fastengebot vollziehen.