„Ein guter Dialog ist von Neugier getragen“

DRAMATURGIE Der preisgekrönte Drehbuchautor Rolf Basedow über seine Fernsehserie „Im Angesicht des Verbrechens“ – und was seine Jugend in Hamburg zu deren Brillanz beigetragen hat

■ 1947 in Hamburg geboren, hat unter anderem mit Doris Dörrie und mehrfach mit Regisseur Dominik Graf gearbeitet. 1998 bekam er den Bayerischen Filmpreis, 2007 und 2008 den Adolf-Grimme-PreisFoto: Archiv

taz: Herr Basedow, Ihr Drehbuch zum Mehrteiler „Im Angesicht des Verbrechens“ beschreibt das Leben russischer Immigranten genauer als jedes zuvor. Steckt in Ihnen eine russische Seele?

Rolf Basedow: Ein wenig. Ich habe mich schon als Jugendlicher in Hamburg für russische Literatur und Filme interessiert. Und im Berlin der 20er Jahre war der Austausch beider Kulturen sehr rege. Jetzt sind die Russen wieder da. Wir sollten sie kennen lernen.

Ist Ihre Bereitschaft dazu das Geheimnis der Serie?

Jedenfalls halte ich es da mit amerikanischen Autoren, die mehr Fragezeichen ans Ende der Sätze setzen, während deutsche häufiger mit Aussagesätzen arbeiten. Ein guter Dialog ist von Neugier getragen, nicht von vielen Worten. Drehbücher sind ja Zwischenprodukte, die man Regisseur, Schauspielern, Technik und letztlich dem Publikum zur Interpretation gibt. Bei Dominik Grafs Umsetzung meiner Bücher folgen die Einzelschicksale der Dramaturgie des Lebens.

Auch das ist sonst eine Stärke US-amerikanischer Serien.

Was nicht zuletzt am Geld liegt: Die Autoren werden schlicht besser bezahlt. Dass ich diesmal zwei Jahre zum Schreiben hatte, war purer Luxus. In den USA gilt es als kluges Investment, das Teamwork und viel Feldforschung beinhaltet. Die führe ich auch. Ich will alles wissen: Warum reden Menschen, wie sie reden, welchem Verhaltenskodex folgen Banditen, was für Zwängen? Dafür braucht man Zeit und das Vertrauen der Berater. Je mehr davon, desto besser kann ich das Investment in guten Geschichten zurückzahlen.

Macht sich ein Autor frei von Budgetfragen?

Nein. Aber je mehr Einfluss man da hat, desto besser. Sonst wächst das Leid des Autors umgekehrt proportional zu den Eingriffsmöglichkeiten, die beim Fernsehen eher Redakteure haben.

Was oft beklagt wird.

Redakteure denken an die Quote, Autoren an ihre Geschichte, Regisseure an den Film. Die Interessen divergieren. Da wäre es für mich ideal, wie es in den USA üblich ist, als Produzent aufzutreten, weil Verantwortung mehr Besonnenheit beim Planen beinhaltet. Die Diskrepanz zwischen Vorstellung und Realisierbarkeit sinkt automatisch.

Waren gut 100 Sprechrollen Teil Ihrer Vorstellung?

Im Grunde ja. Mit sieben Haupt- und zwei Dutzend Nebendarstellern wollen wir einen großen Blick auf die verschiedenen Ebenen von Polizei, Kriminellen, des täglichen Lebens werfen. Dieser erzählerische Kosmos war eine große Herausforderung für alle, aber ich glaube, am Ende ist das Drehbuch mit großer visueller Kraft umgesetzt worden.

Dass die Serie im Feuilleton gefeiert wurde, schreckt leider gern Zuschauer ab …

Vielleicht stimmen Kritik und Zuschauergeschmack ja mal überein. Schließlich sind alle Charaktere wie wir alle auf der Suche nach dem Glück. Dominik nimmt das Publikum auf Augenhöhe auf eine Reise und zeigt, wie Menschen in Mikrokosmen empfinden. Das war auch meine Reise. Ich wollte wirklich wissen, wie Russen feiern, leben, lieben.

Und?

Zu Hause in Hamburg hatte mein Vater eine Riesenantenne auf dem Dach, um DDR-Fernsehen sehen zu können. Wenn ich von der Schule kam, habe ich deshalb oft russische Spätarbeiter-Programme von drüben gesehen. Wie sehr mich das Lebensgefühl darin beeindruckt, ist mir jetzt wieder bewusst geworden: Das Bodenständige, viel Erde, viel Himmel, die großen Bilder, wie ich sie selber in der Ukraine erlebt habe.

Ist das Teil ihrer Arbeit oder auch der Mentalität?

Ersteres mehr als Letzteres, aber die Art, wie Russen feiern, ihr Mitgefühl zeigen: Das hat mich bewegt. Dominik meinte, seine Feierszenen hätten mit deutschen Statisten nicht funktioniert; die russischen waren nach zehn Stunden Dreh immer noch in Partylaune. INTERVIEW: JAN FREITAG

„Im Angesicht des Verbrechens“: ab 22. Oktober immer freitags, 21.45 Uhr, ARD-Fernsehen