Verwahrung auf Bewährung

JUSTIZ Die Bundesanwaltschaft schlägt im Streit um die Sicherungsverwahrung einen Kompromiss vor: Nur relativ ungefährliche Verwahrte sollen sofort entlassen werden

Mit dem Kompromiss würden die Gefährlicheren der „Altfälle“ hinter Gitter bleiben

VON CHRISTIAN RATH

Das Straßburger Urteil zur Sicherungsverwahrung soll in Deutschland nicht flächendeckend umgesetzt werden. Das vertritt die Bundesanwaltschaft in einer Stellungnahme für den Bundesgerichtshof. Demnach sollen nur die Ungefährlicheren unter den „Altfällen“ auf Bewährung entlassen werden.

Anlass des Verfahrens ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von Ende letzten Jahres. In einem Präzedenzfall hatte der Straßburger Gerichtshof entschieden, dass Sicherungsverwahrung nicht rückwirkend verlängert werden darf – wie dies in Deutschland 1998 vom Bundestag beschlossen wurde. Damals wurde die 10-jährige Frist auch für Altfälle aufgehoben und eine unbefristete Verwahrung nach Verbüßung der Strafe ermöglicht. Auf dieses Urteil können sich in Deutschland zurzeit 122 Personen berufen. Nach und nach kommen 230 weitere hinzu, sobald sie ihre Haftstrafe und anschließend 10 Jahre Verwahrung abgesessen haben.

Manche Oberlandesgerichte (OLGs) begannen daraufhin, entsprechende Gefangene sofort aus der Sicherungsverwahrung zu entlassen. Rund 20 Personen kamen so bundesweit frei und werden teilweise rund um die Uhr von der Polizei überwacht. Andere OLGs lehnten eine Entlassung ab, weil sie gegen deutsche Gesetze verstoße.

Der Bundestag setzte darauf Ende Juli den Bundesgerichtshof (BGH) als Oberschiedsrichter ein. Die OLGs müssen jetzt ihre Fälle dem BGH vorlegen. Dieser muss entscheiden, ob das Straßburger Urteil direkt zur Entlassung der Altfälle führt. Fast alle OLGs halten sich daran, deshalb werden zurzeit kaum noch Verwahrte entlassen. Inzwischen liegen beim BGH 12 Vorlagen, über die er frühestens im November entscheiden will.

Nach taz-Informationen hat jetzt die Bundesanwaltschaft in diesem Grundsatzverfahren ihre Stellungnahme abgegeben. Sie hält eine Entlassung aller Altfälle durch die Gerichte für ausgeschlossen. Die Gerichte könnten nicht gegen den klaren Wortlaut des deutschen Strafgesetzbuchs entscheiden, das eine Freilassung der Sicherungsverwahrten nur erlaubt, wenn diese nicht mehr gefährlich sind. Es könne aber geprüft werden, so die Bundesanwälte, ob eine Entlassung auf Bewährung möglich ist. Dabei müsse die aktuelle Gefährlichkeit der Verwahrten abgewogen werden mit dem festgestellten Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot für Strafgesetze.

Ob der BGH diese Lösung übernimmt, ist noch offen, sie könnte aber ein guter Kompromiss sein. Schließlich müssten nur die Ungefährlicheren unter den Altfällen direkt von den Gerichten entlassen werden und die Gefährlicheren würden erst mal hinter Gitter bleiben. Zwar verstößt auch ihre fortgesetzte Inhaftierung gegen die Straßburger Rechtsprechung, hier müsste aber der deutsche Gesetzgeber aktiv werden.

Tatsächlich plant die Bundesregierung bereits ein Gesetz zur zwangsweisen Unterbringung von psychisch gestörten Gewalttätern. So will die schwarz-gelbe Koalition die Entlassung besonders gefährlicher Personen verhindern und sogar die erneute Zwangsunterbringung bereits Entlassener ermöglichen.

Auch das Bundesverfassungsgericht ist noch im Spiel. Es will voraussichtlich Anfang nächsten Jahres über die Folgen des Straßburger Urteils verhandeln. Geprüft werden dann die Fälle derjenigen Verwahrten, die aufgrund der BGH-Rechtsprechung und des geplanten neuen Gesetzes immer noch im Gefängnis sind. Andreas Voßkuhle, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hat BGH und Gesetzgeber bereits in einem Zeitungsinterview zur Eile gemahnt.