Jukebox

Ein Welthit mit fragwürdigem Frauenbild

15 Minuten. So lange, erzählte Tammy Wynette, habe es gedauert, um ihren Song „Stand By Your Man“ zu schreiben. Musikalisch gesehen ist das erstaunlich, denn das Stück ist ein ganz großer Hit (und eines der meist verkauften Country-Stücke aller Zeiten). Hört man jedoch auf die Worte, die die Wynette singt, kann man sich nur wünschen, sie hätte sich ein bisschen mehr Zeit als eine Viertelstunde genommen. Die ideale Frau, wie die Königin des Country sie da besingt, liebt ihren Mann, hat deshalb Verständnis für ihn, verzeiht ihm alles und wartet immer schön brav auf ihn. Kurzum: Das Frauenbild der Eva Herman ist Avantgarde im Vergleich.

Nein, als Vorkämpferin der Frauenbewegung hat sich Tammy Wynette sicher nicht gerühmt, dafür als „erste Country-Frau“, die zusammen mit Dolly Parton und Loretta Lynn zu den wichtigsten Musikerinnen der 1960er zählte. Ihre Songs sind eingänglich und handeln von Liebe, Treue und Spießer-Leben. Vorreiterin war sie lediglich bei den Verkaufszahlen: Als erste Frau der Country-Geschichte bekam sie eine Goldene Schallplatte– für ihr Album „Tammy Wynettes Greatest Hits“ (1969).

Was ihr Privatleben anging, so sind auch da vor allem Liebesbeziehungen hängengeblieben, die aber gestalteten sich bei weitem nicht konservativ: Neue Verbindungen wurden da schon eingegangen, als die Scheidungen der alten Ehen noch nicht mal eingereicht waren. Auch Burt Reynolds mischte sich in den Liebesreigen der Tammy Wynette, das war in den 70er-Jahren.

In diese Zeit fällt das Geburtsjahr der Feministin, Elektronik-Produzentin und Musikerin Kevin Blechdom. Mit der Diva des Country hätte die Wahlberlinerin bestimmt einiges zu bereden gehabt. Musikalisch gesehen liegen die beiden allerdings nicht allzu weit auseinander: Bleckdom bezeichnet ihre Musik als „Electronic Country“ und spielt ausgezeichnet Banjo und Klavier (zwischendurch springt sie ab und zu an ihren Laptop). Und ein Stück hat sich die gebürtige Amerikanerin von Wynette geliehen: „Stand By Your Man“. Wenn sie das morgen – wie schon bei vorherigen Konzerten – im Lido singt, dann darf man das als Reverenz sehen und gleichzeitig als ironische Anspielung: Kevin Blechdom singt das Stück so inbrünstig, dass man die Message schon gar nicht mehr ernst nehmen kann.

Zusammen mit Angie Reed und Heidi Mortenson präsentiert Kevin Blechdom morgen im Lido „The Wired Ones Compilation“. ANDREA EDLINGER