Hu will „inklusives Wachstum“

CHINA I KP-Zentralkomitee sucht Weg zu ausgeglichenerem Wirtschaftswachstum und politischem Generationswechsel. Demokratische Reformer dürften sich nicht durchsetzen

Dass die Führung nicht vom „Modell China“ sprechen mag, zeigt ihre Probleme

AUS PEKING KRISTIN KUPFER

Chinas Führung braucht dieser Tage doppelten Schutz: Im Westen Pekings wird das Fünf-Sterne-Jingxi-Hotel, der Ort der jährlichen Plenartagung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, von Polizisten abgeschirmt. Seit vergangenem Freitag bis zum heutigen Montag beraten die 204 Mitglieder des Zentralkomitees hinter verschlossenen Türen über Chinas Zukunft. Und fast gegenüber dem Hotel im Sowjetstil ist die Wohnung des diesjährigen Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo, der in Nordostchina inhaftiert ist. Auch sein Haus ist von Polizisten umstellt. Seine Frau Liu Xia soll daran gehindert werden, die Frage nach Chinas politischer Zukunft noch höher auf die Agenda zu rücken, als diese ohnehin schon ist.

Das dynamische Reich der Mitte zu regieren wird immer schwieriger. Im Vorfeld der ZK-Tagung haben Chinas Ökonomen erneut vor strukturellen Problemen des Wachstums gewarnt: zu export- und staatsabhängig, zu ungleich und zu wenig nachhaltig. Laut den staatlichen Medien will Staats- und Parteichef Hu Jintao deshalb das Konzept des „inklusiven Wachstums“, das heißt soziale und ökologische Verträglichkeit, zum Leitmotiv des zu beratenden 12. Fünfjahresplans (2011–2015) machen. Entlehnt hat Hu es von der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB). Dass die chinesische Führung auch jetzt nicht von einem „Modell China“ sprechen mag, verdeutlicht die Last ihrer Probleme.

Das Zentralkomitee versammelt ein breites Meinungs- und Interessenspektrum. Deshalb gibt es durchaus überraschende Entscheidungen. So im letzten Jahr, als Xi Jinping, dem designierten Nachfolger Hu Jintaos, der bereits sicher geglaubte Vorsitz der zentralen Militärkommission verweigert wurde. Ob Xi, Vizepräsident und zuständig für Parteiaufbau und Außenpolitik in Chinas neunköpfigem ständigen Ausschuss des Politbüros, den Posten dieses Mal erhält, wird ein Hinweis auf Dissens oder Konsens in Bezug auf den 2012 anstehenden personellen Führungswechsel innerhalb der Kommunistischen Partei sein.

Auch die offizielle Agenda, der Beratung des Fünfjahresplans, verspricht Kontroversen: Unterschiedliche Ministerien, Lobbyisten staatlicher Firmen und regionale Parteiführer wollen ihre Interessen vertreten sehen. Die Rolle der Privatwirtschaft, etwa ihr Zugang zu Krediten, sowie Mechanismen zu einer gerechten Ressourcen- und Einkommensverteilung innerhalb der Bevölkerung gelten als zentrale Streitpunkte. Die Frage der soziale Gerechtigkeit fordert besonders die lokalen Politiker heraus: denn dazu sollen die Kanäle zum Rechtsschutz für die Bevölkerung gestärkt werden.

Da kommt dann der laut Beobachtern eigentliche Tagungsordnungspunkt ins Spiel: „Gute Regierung ist ohne ein gut fundiertes politisches System nicht zu erreichen“, zitierten mehrere chinesische Zeitungen Yu Keping, Vizedirektor des Kompilations- und Übersetzungsbüros des Zentralkomitees. Yu gilt als Sprachrohr der reformerischen Kräfte innerhalb der Partei. Mit seinem Aufsatz „Demokratie ist eine gute Sache“ hatte er bereits 2007 Diskussionen um politische Reformen angestoßen.

Mit seinen Aussagen stößt Yu in das gleiche Horn wie jüngst Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao: Politische Reformen sind nicht mehr aufzuschieben. „Ohne politische Reformen werden die Früchte der wirtschaftlichen Reformen verloren gehen“, sagte Wen Anfang August in der südlichen Metropole Shenzhen, Chinas symbolischer Reformheimat seit der wegweisenden Rede des Wirtschaftsreformers Deng Xiaoping 1992. Anfang Oktober ging Wen einen Schritt weiter. Die Wünsche der Bevölkerung nach Freiheit und Demokratie seien unaufhaltsam, sagte er in einem Interview mit dem US-Sender CNN.

Letzte Woche haben dutzende Parteiveteranen und über 100 kritische Intellektuelle in zwei offenen Briefen den Druck zu politischen Veränderungen weiter erhöht. Beide Schreiben setzen auf eine gemeinsame Umgestaltung des Landes mit liberalen Kräften innerhalb der Parteiführung. Dass diese auf der ZK-Tagung eine Mehrheit finden, ist aber nahezu ausgeschlossen. Dennoch ist es für Xu Youyu, Organisator des Briefes der Intellektuellen, eine Möglichkeit, Druck auszuüben. „Mehr und mehr Stimmen innerhalb der politischen Eliten unterstützen politische Reformen“, sagt Xu, „wie vielleicht Wen Jiabao wollen sie vor ihrem Abtreten mittelfristig neue Akzente für Chinas Zukunft setzen.“