„Man muss das strukturell analysieren“

Das Bremer Frauenkultulabor „thealit“ lädt zur Konferenz über eine in bayerischer Doppelverneinung formulierte Frage: Kann es sein, dass Frauen, Europa und digitale Medien nicht nicht existieren? Dieses „Do not exist“ diskutieren Denkerinnen aus aller Frauen Länder

taz: Frau Sick, Ihre Konferenz „Do not exist“ geht laut Ankündigung von einer „immer wieder zu befragenden und zu durchbrechenden Nicht-Existenz dessen, was Europa, Frau oder digitales Medium heißt“, aus. Geht das auch einfacher?

Andrea Sick: Eigentlich geht das gar nicht, sonst hätten wir es nicht so geschrieben. Wir versuchen, ein Verfahren vorzuschlagen: Wir setzen die Behauptung, Europa, Frauen und digitale Medien existieren nicht. Aber in dem wir „exist“ durchstreichen, gibt es dieses „nicht Existierende“ dann gerade deshalb doch.

Die doppelte Verneinung im Konferenz-Titel können wir in der taz typografisch leider nicht ausdrücken. Was soll er suggerieren?

In Bezug auf Europa stellt sich ständig die Frage: Wer gehört dazu? Die Türkei? Und ab wann ist Bulgarien wirklich dabei? Uns interessiert auch das Europa, das ganz klar nicht dazugehört wie der Kosovo. Die Frauenfrage, die wir Jacques Lacans Diktum „La femme n‘existe pas“ entlehnt haben, kulminiert in Verbindung mit Europa beim Thema sex trafficking, also dem Menschenhandel zum Zweck der Prostitution.

Eigentlich sind „Frauen“, „Europa“ und „digitale Medien“ doch ziemlich zukunftsträchtige Begriffe, oder?

Man muss das ambivalent diskutieren: Eine Behauptung sagt: der geographische Raum „Europa“ verschwindet immer mehr, über die Medien ist man eh allerorten, selbst Kriege werden ferngesteuert. Andererseits konstituiert sich das politische und ökonomische Europa derzeit durch Ein- und Ausschließungsmechanismen, „Nationalität“ gewinnt an Bedeutung. Das sind gegenläufige Bewegungen, die wir miteinander konfrontieren wollen.

Es wird auf englisch diskutiert, da muss man ein paar Keywords kennen. Was zum Beispiel ist die „politics of sexuation“?

Oh je – das ist schwierig zu übersetzen. Letztendlich geht es um die Politiken des Sex. Darum, wie Sex theoretisch eingesetzt wird, aber auch um Menschenhandel.

Susanne Lummerding kommt mit der These, „a man is perhaps simply a woman who thinks that she does not exist ...“. Erwarten Sie Widerspruch, zum Beispiel von Männern?

Da Susanne Lummerding doch sehr theoretisch ausgerichtet ist, erwarte ich einen Widerspruch auch auf dieser Ebene – egal, ob von Männern oder Frauen. Im Übrigen sind unsere Veranstaltungen immer für alle offen. Nur die Referentinnen sind immer Frauen, oder Frauen, die sich als Frauen bezeichnen –bei diesem Spiel sind wir sehr genau.

Sie selbst beschäftigen sich auf der Tagung mit digitalen Medien auch als Überwachungsinstrumenten und fragen nach der politischen Kontrolle über den öffentlichen Raum. Haben Sie dabei den Bremer Bahnhofsvorplatz im Blick oder andere Meta-Ebenen?

Ich sage nicht, montiert diese schlimmen Kameras sofort ab. Es geht mir um eine Theorie, wie man überhaupt darüber und auch über andere Überwachungstechnologien und statistische Verfahren nachdenken kann.

Weitere Symposien und Ausstellungen zum Thema sollen kommendes Jahr auch in Estland, Bulgarien, Slowenien und Polen stattfinden. Warum diese Orientierung nach Osten?

Die Europäische Union hat sich ja in den letzen Jahren gen Osten erweitert und weitere Länder sollen in dem kommenden Jahr beitreten. Dieses Phänomen bietet Anlass hier genauer hinzuschauen. Wir von „thealit“ sind in unseren Verfahren sehr theoretisch geprägt. Frauen, die anders arbeiten, haben womöglich konkretere Vorstellungen. Frauen in Sofia, Ljubljana und Tallinn haben wir zur Beteiligung eingeladen und als Kooperationspartner gewinnen können. Schon in sozialistischen Zeiten gab es dort Programmiererinnen, die das Potential gesehen haben, Grenzen zu überschreiten. Die haben zusammen gearbeitet, sich organisiert und Viren verschickt – es gibt dort ganz viel Aktivismus, aber auch theoretische Konzepte, die sich mit unseren Herangehensweisen verknüpfen lassen.

INTERVIEW: HENNING BLEYL

„thealit“ entstand Anfang der neunziger Jahre aus dem Bremer Frauenkulturhaus. Die Zielsetzung ist, „feministische Positionen erkenntnistheoretisch und praktisch in die kulturelle Diskussion einzubringen“. Derzeit vier Teilzeit-Mitarbeiterinnen und wechselnde Kuratorinnen organisieren Ausstellungs- und Diskussionsprojekte wie „Spin doctoring“, das von der Bundeskulturstiftung unterstützt wurde. Die Konferenz „Do not exist“ beginnt heute in der Bremer Galerie Rabus (Plantage 13) mit dem Film „Foreign Customers“ von Judith Siegmund und versammelt bis zum 1. Oktober internationale Referentinnen. Morgen (21 Uhr) winkt eine „After Word Party“. Programmüberblick: www.thealit.de/lab/donotexist