Auf der Suche nach Egalität

TANZ Das Festival „This Ain’t Africa“ will kulturellen Austausch jenseits europäischer Deutungshoheit. Das ist nicht so ganz einfach, schon weil das Geld von den ehemaligen Kolonialmächten kommt

„In einem Land mit 64 indigenen Sprachen ist der Körper stark – nicht das Wort, dem wir nicht mehr glauben“

Der mosambikanische Choreograf Panaibra Gabriel Canda

VON HANNA KLIMPE

Wie ein Festival über zeitgenössischen afrikanischen Tanz organisieren – und dabei nicht die Künstler der eigenen eurozentristischen Vorstellung entsprechend auswählen? Wer bestimmt, was „zeitgenössisch“ ist und was „afrikanisch“? Am Ende leider vor allem die Geldgeber – und die Ausländerbehörden.

Als Gegenprogramm dazu versteht sich das Festival „This Ain’t Africa“, das am Mittwoch in Hamburg beginnt. Der dortige Spielort Kampnagel, das Tanzhaus NRW und das Festspielhaus Hellerau in Dresden haben sich unter dem Label „Dance Dialogues Africa“ mit fünf Tanzzentren in Afrika zusammengeschlossen. Von denen sind nun drei vertreten, die Studios Kabako in Kisangani (Kongo), das „CulturArte“ in Maputo (Mosambik) und das „Ness El Fen“ in Tunis (Tunesien). „Die Grundidee war, das Festival nicht nur von Deutschland aus zu kuratieren, sondern mit den Tanzzentren zusammenzuarbeiten“, sagt Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard. „Die Leiter der Zentren wurden eingeladen, eine Produktion zu machen, und zusätzlich zwei junge Choreografen zu benennen.“

In der Tanzszene in Afrika gab es für die deutschen Kuratoren dabei eine Menge unbekanntes Terrain: „Ich habe in Burkina Faso in Christoph Schlingensiefs Operndorf gearbeitet“, erzählt Deuflhard, auch habe man über die Regisseurin Monika Gintersdorfer schon zahlreiche Kooperationsprojekte mit afrikanischen Künstlern gehabt, „aber wir mussten durchaus erst einmal Recherchearbeit leisten“. Gintersdorfer gilt als Pionierin der deutsch-afrikanischen Performance: Seit 2005 entwickelt sie zusammen mit dem bildenden Künstler Knut Klaßen und dem ivorischen Choreografen Franck Edmond Yao Stücke mit deutschen und afrikanischen Künstlern wie „Othello, c’est qui“.

Der Leitgedanke von „This Ain’t Africa“ ist die Hinterfragung der kulturellen Definitionshoheit Europas, vor allem der „Dekonstruktion des Zeitgenössischen“.

Der Schwerpunkt der zweiten Festivalwoche auf Arbeiten aus dem maghrebinischen Raum, die sich mit der Arabischen Revolution und der Frage der kulturellen Identität beschäftigen: Der gebürtige Algerier Ahmed Khemis etwa lässt in „Trans(e)“ die längst vergessene religiöse Figur Bou Saâdia wieder auferleben, und die TunesierInnen Hafiz Dhaou und Aicha M’Barek erarbeiten in „Toi et moi & Do you believe me“ neue Formen der Gemeinschaft.

„Die kulturellen Hintergründe der Länder sind äußerst unterschiedlich“, sagt Dramaturgin Line Spellenberg, die das Festival mitkuratiert. „Deswegen auch der Titel ‚This Ain’t Africa‘: Wir wollen kein authentisches Bild vom Tanz in Afrika zeigen, sondern die Heterogenität einzelner Positionen. Die Künstler sind selbst in ihrer Tanzbiografie schon hybrid.“ So hat die südafrikanische Choreografin Dada Masilo mit viel Humor und Selbstbewusstsein den „Schwanensee“ neu interpretiert und lässt dunkelhäutige Menschen in schneeweißen Tutus über die Bühne springen.

Panaibra Gabriel Canda aus Mosambik, der mit „Time and Spaces“ schon auf dem Krass-Kultur-Crash-Festival im Februar in Hamburg zu sehen war, vertritt die These, dass sich in seinen Körper sowohl die Geschichte der afrikanischen Kultur als auch die der europäischen Kolonialisierung eingeschrieben hat. Jetzt zeigt er mit „Point of Intersection“ ein Stück über die politischen Machtverhältnisse in Mosambik: „In einem Land mit 64 indigenen Sprachen ist der Körper stark – nicht das Wort, dem wir nicht mehr glauben.“

„Viele der Arbeiten sind sehr politisch, mit einem starken Hang zum Narrativen“, hat Line Spellenberg beobachtet. Auch sei kollektiver Tanz „im afrikanischen Raum viel präsenter“ als in Europa. Teil des Festivals ist eine zweitägige Konferenz, „Deconstructing Contemporanity“, bei der es neben Theorie auch Workshops wie „Unlearning by doing“ gibt: Dabei sollen Übungen „kulturelle Codes durcheinanderwerfen und den Körper als politisches Organ ernst nehmen“, erklären Franck Edmond Yao und Monika Gintersdorfer.

Bei allen Bemühungen, dem eingangs umrissenen Eurozentrismus zu begegnen, bleibt doch ein profundes Ungleichgewicht: Die Finanzierung erfolgt komplett von europäischer Seite, vor allem vom ehemaligen Kolonialherren Frankreich. „Ein latenter Vorwurf der Künstler ist, dass gerade die Franzosen auch eine entsprechende Haltung an den Tag legen“, sagt Amelie Deuflhard. „Die haben eigentlich gar keine Lust auf Geld aus Europa und die entsprechenden Abhängigkeiten, aber sie haben eben auch keine andere Möglichkeit.“ Manche versuchen sich von der Förderung unabhängig zu machen, indem sie Stücke entwickeln, die in Europa ankommen – häufig deswegen, weil sie folkloristische Klischees bedienen.

Auch die Ausländerbehörden verhindern einen gleichberechtigten Austausch. Die Performance „Masu Kaino“ der kongolesischen Nachwuchschoreografen Michel Kiyombo und Hlengiwe Lushaba musste kurzfristig abgesagt werden: Kiyombo erhielt kein Visum. Ein offizielles Statement gibt es nicht, aus Kreisen des Künstlers heißt es aber, der Grund sei, dass Kiyombo noch nie in Europa war – da gebe es keine Sicherheit, dass er nach dem Festival wieder in den Kongo zurückgeht.

■ „This Ain’t Africa. Festival für Transkultur, Tanz und Diskurs“: 2. bis 12. April, Hamburg, Kampnagel