„Menschliche Unförmigkeiten“

FREIMARKT Der zweiwöchige Rummel auf der Bürgerweide geht wieder los – zum 975. Mal

■ Diplom-Sozialpädagoge und freischaffender Autor. Gestern stellte er sein jüngstes Buch, „Der Bremer Freimarkt“, vor.

taz: Herr König, auf der Bürgerweide warten „Top Spin“ und „Transformer“. Steigen Sie ein?

Johann-Günther König: Wenn ich jünger wäre schon. Die menschliche Belastungsfähigkeit interessiert mich jetzt theoretisch: 6G ist das höchste, was sie jemandem zumuten können.

In Ihrem Buch erzählen Sie die Geschichte des Freimarkts anhand von alten Postkarten.

Ja, die kamen ab den 1890er Jahren in Mode. Man kann daran schön sehen, wie sich der Freimarkt entwickelt hat.

Wie sah er denn früher aus?

Anfangs war das ein Markt – von Volksfest keine Rede. Ab 1790 kamen mehr Attraktionen hinzu. Aber es ging noch beschaulich zu. Man zog durch die Budenreihen, kaufte Bremer Moppen.

Fahrgeschäfte gab es keine?

Das erste Bodenkarussell drehte sich 1822 – von kräftigen Männern angeschoben. So richtig los ging das erst mit Dampfkraft und dann Strom. Die Berg- und Talbahn 1890 – das war das Tollste. Es folgten Riesenrutschbahn, Teufelsrad und schließlich, 1910, die erste Achterbahn. Der Freimarkt wurde zum Fest technischer Errungenschaften.

Ein Plakat um 1900 zeigt „das schwerste Mädchen, das je gelebt hat“. Wer wollte das sehen?

Menschliche Unförmigkeiten waren absolute Highlights. Man sah etwas, was man im Alltag nicht zu sehen bekam. So wie Feuer- und Eisenschlucker oder die wilden Afrikaner – übrigens oftmals nur schwarz angemalte Landbevölkerung. Schaubuden, Tiermenagerien – das ist alles weg. Einen Flohzirkus habe ich seit Jahren nicht gesehen.

Was war mit Alkohol?

Der spielte immer eine Rolle. Schon Ende des 18. Jahrhunderts ließ der Senat, weil die Gaststätten überfüllt waren, Sudelzelte zu. Auf den Karten kann man übrigens sehen, dass es immer die Frauen sind, die die besoffenen Männer stützen.

Die protestantischen BremerInnen ließen die Sau raus?

Eindeutig. Der Freimarkt war das, was im Rheinland der Karneval ist. Das kann man bis in die Gästebücher des Bürgertums sehen: Man war gut drauf und durfte einmal über die Strenge schlagen. Und das ist ja heute immer noch so. Interview: sim

Eröffnung: 15 Uhr Marktplatz, 18 Uhr Bayernzelt, Bürgerweide