UNTER DER RIESENLUPE
: Der alte Lauser

So vergrößert sieht so eine Kopflaus schaurig aus

Es ist Dienstag früh, und ich stehe mit meinen zwei Kindern vor dem Gesundheitsamt Kreuzberg in der Urbanstraße. Zwischen 7.30 und 9 Uhr ist Läusesprechstunde. In der Kita meiner Tochter herrscht jetzt schon seit zwei Monaten Läusenotstand, und wir sollen hier alle unter die Läuselupe genommen werden.

Im vierten Stock befindet sich der Raum für die Kopflauskontrolle. Ich klopfe an, und ein heiseres „Herein“ lässt uns eintreten. Ich schiebe meine vierjährige Tochter vor. Ein Herr mit grauem Haar, grauem Pullover und grauem Schnurbart sitzt hinter einem grauen Schreibtisch – an irgendwen erinnert mich der Mann. Er scheint dort schon seit Jahrzehnten zu sitzen.

Meine Tochter muss sich auf einen grau gepolsterten Stuhl setzen, und der Mann untersucht ihre Kopfhaut und ihr Haar mit einer beleuchteten Riesenlupe und einem Läusekamm. An der Wand hängt ein vergilbtes Schaubild über die Kopflaus. So vergrößert sieht so ein Tier schaurig aus. Ein bisschen so wie ein Mann mit Schnurrbart. Ein bisschen so wie der Mann, der gerade den Kopf meiner Tochter untersucht.

Meine Tochter muss die Ähnlichkeit auch bemerkt haben. Sie zittert.

Danach ist mein einjähriger, haarloser Sohn an der Reihe, er weint. Dann komme ich dran. Ich denke an die vielen Köpfe, die dieser Herr in seinem Leben schon nach Kopfläusen untersucht haben muss. Der Läusemann redet kaum ein Wort während der Untersuchung und verzieht auch keine Miene, als er uns alle für läusefrei erklärt.

Nur sein Schnurbart wackelt ein wenig.

Sorgfältig schlägt der Lauser ein großes Buch auf und trägt handschriftlich unsere Namen, die Adresse und den läusefreien Status ein. Erst beim Rausgehen aus dem Untersuchungsraum merke ich, dass kein Computer auf dem Tisch steht.

MAREIKE BARMEYER