Neue Vorwürfe gegen ungarische Aluminiumfabrik

ALUPRODUKTION II Die Sicherheitsprobleme in der Hütte waren offenbar schon lange bekannt

WIEN taz | Die Katastrophe vom 4. Oktober, bei der rund eine Million Kubikmeter giftiger Schlacken in Ungarn mehrere Ortschaften verwüsteten, war offenbar vorher absehbar. Das zeigen Äußerungen von Mitarbeitern der Magyar Alumínium Zrt., der die Unglückshütte gehört. Sie berichteten in der Tageszeitung Népszabadság, das Unternehmen habe jedem mit Entlassung gedroht, der Sicherheitsprobleme der Rotschlammdeponien angesprochen habe. Zudem sind mehrere Monate alte Luftaufnahmen aufgetaucht, die deutliche Risse in der Staumauer des Giftschlammbeckens zeigen. Die Zahl der Todesopfer stieg derweil auf neun, ein Mann aus Kolontár erlag im Krankenhaus seinen schweren Verätzungen.

Die unmittelbare Gefahr, dass eine weitere Mauer platzen könnte und eine neue Schlammlawine entfesselt wird, dürfte gebannt sein. Das Wasser aus dem gefährdeten Becken wurde abgepumpt, ein neu errichteter Wall soll das Dorf Kolontár und die Kleinstadt Devecser schützen. Das Unternehmen und die Gewerkschaft der Aluminiumarbeiter hoffen, die Produktion am Wochenende wieder aufnehmen zu können. Sie setzen auf Ministerpräsident Viktor Orbán, der im Alleingang grünes Licht geben kann. Denn der Privatbetrieb wurde Montag unter staatliche Kuratel gestellt. Das Gelände ist von der Polizei besetzt.

Giftiger Staub

Die neue Gefahr liegt womöglich in der Luft. Das schöne Wetter trocknet die feuchte Masse. Die Umweltorganisation Greenpeace, die bereits alarmierende Werte von Arsen, Quecksilber und Cadmium im Schlamm festgestellt hatte, schickte ein mobiles Team. Erste Feinstaubmessungen in Devecser ergaben am Dienstag eine Belastung von 60 bis 300 Mikrogramm pro Kubikmeter. Der Grenzwert von 50 Mikrogramm darf nur an 35 Tagen pro Jahr überschritten werden. Die Regierung gibt auf der eigens eingerichteten Rotschlamm-Homepage jedoch Entwarnung. Die Luft sei medizinisch nicht bedenklich. Es empfehle sich aber, Schutzmasken zu tragen.

An Experten mangelt es nicht. Ein fünfköpfiges Team der EU prüft, wie sich das Gift auf die Flüsse Raab und Donau auswirkt. Auch Mitarbeiter der Ungarischen Akademie der Wissenschaften und der Weltgesundheitsorganisation ermitteln.

Keinen Zugang haben hingegen die Medien. Sie werden in einem neu eingerichteten Pressezentrum am Eingang von Devecser mit Kommuniqués abgespeist. RALF LEONHARD