Pfusch beim Gemüse

Alle reden vom Gammelfleisch, aber auch altes Gemüse wird in Supermärkten frisch gestylt verkauft. Außer fehlenden Vitaminen und fadem Geschmack ist dabei aber nichts zu befürchten

VON RICHARD ROMAN

Fast jeden Tag vermelden die Medien neu gefundenes Gammelfleisch. Das lässt vielen beim Einkauf die Frischgemüse-Abteilung im Supermarkt attraktiver erscheinen. Doch im Meldungswust untergegangen ist dabei die Mitteilung, dass bei ein oder zwei Lebensmittelkontrollen auch Gammelgemüse entdeckt worden ist. Also Gemüse, das allzu lange gelagert wurde und für den Verzehr eigentlich nicht mehr geeignet ist. Eigentlich, denn der Verdacht liegt heuer nahe, dass Händler es dennoch an die Frau oder den Mann bringen wollten.

Hans-Ulrich Grimm, Fachautor für Ernährung und Lebensmittel, sieht diese Gefahr nicht. „Überaltertes Gemüse kann man kaum manipulieren.“ In solchen Fällen bleibe nur die Möglichkeit, es ohne Federlesen auszusortieren und wegzuschmeißen. „Das macht jeder Obst- und Gemüsehändler so. Jeden Tag und jede Woche“, sagt der Experte, der auch die Webseite www.food-detektiv.de betreibt. Gemüse, das die beste Zeit schon hinter sich habe, liege zwar immer mal wieder in den Regalen, das habe allerdings nichts mit Gammel zu tun. Denn eine Suppe brauche nicht dieselbe Gemüsequalität wie ein frischer Salat.

Solch gut gelagertes „Suppengemüse“ wird in der Praxis manchmal mit einem Schwall feinsten Wassernebels besprüht, um Frische zu suggerieren. Grimm findet wenig dabei, weil man echten Gammel auch so nicht wieder fit bekäme. Wasser sei „unbedenklich“, denn damit könne altem Gemüse Leben nicht wieder eingehaucht werden. Grimm spricht deshalb von „rein kosmetischen Maßnahmen“.

Das sieht Manfred Linke anders. Der Forscher für die Frischhaltung von Obst und Gemüse ist skeptisch, weil so die biologische Wertigkeit von Gemüse verschleiert werde. „Mit dem Aufspritzen von Wasser bekommt man in manchen Fällen akzeptabel aussehendes Gemüse, das seine biologisch wertvollen Inhaltstoffe längst verloren hat.“ Das Nachfüllen von Wasser verdunkle den eh schon komplizierten Zusammenhang von Aussehen und Wertigkeit zusätzlich. Deshalb sei er gegen diese an sich harmlose Methode.

Linke arbeitet am Leibnitz-Institut für Agrartechnik in Potsdam und hat dort einen „Frische-Sensor“ für Gemüse entwickelt. Dieser wird nach der Ernte in die Kisten gelegt und misst den Luftstrom und die Luftfeuchtigkeit am Produkt. „Hohe Luftgeschwindigkeiten und niedrige Luftfeuchten begünstigen Wasserverluste. Das Gemüse beginnt zu welken“, erklärt Linke. Bei seinem Verfahren dienen Kunststoffhohlkugeln mit einem wasserspeichernden Granulat als Sensor. Er wird an die zu beurteilende Gemüsesorte angepasst. „Das Gemüse selbst können wir nicht ausmessen. Wir messen die Nacherntekette über die Parameter Temperatur, Feuchte der Umgebungsluft und Luftströmung und können so Rückschlüsse auf die Frische des Produktes ziehen.“ Am Leibnitz-Institut hat man mittlerweile mehrere hundert Messungen mit Biogemüse durchgeführt. Linkes Fazit: „Man kann noch viel tun, um die Frische zu steigern.“ Skandalöses habe er jedoch nicht entdeckt. Für eine höhere Frische müsste insbesondere die Ausbildung im Einzelhandel hinsichtlich einer optimalen Lagerung von Gemüse intensiviert werden. An den Messungen teilgenommen haben fünf Biogemüse von zwei Handelsorganisationen, die mit 15 Produzenten zusammenarbeiten und ihre Produkte über 30 Bioläden in Süddeutschland verkaufen.

Nach Angaben von Linke sei es in vielen Fällen technisch möglich, Produkte mit naturwissenschaftlichen Methoden zu bewerten. Lichtspektroskopische Messungen könnten viele Qualitätskriterien von Obst und Gemüse erfassen. Wasserverluste könnten so allerdings nicht gemessen werden. Sein Institut teste gerade ein in einem Rucksack untergebrachtes Spektrometer. Dieses sei für Verbraucher noch zu groß, zu schwer und zu teuer. Seine Einschätzung naturwissenschaftlicher Messmethoden ist skeptisch: „Der Handel möchte solche Ergebnisse nicht veröffentlicht sehen.“ Eine andere Frage ist, ob der Verbraucher es so genau wissen möchte.