Handelspakt löst neue China-Angst aus

TAIWAN Die Proteste gegen ein Freihandelsabkommen mit der Volksrepublik weiten sich aus. Nach dem Parlament besetzen Demonstranten den Regierungssitz, den die Polizei gewaltsam räumt

Die Demonstranten fürchten, dass Taiwan von Peking erpresst werden könnte

AUS PEKING FELIX LEE

Besetzte Ministerien, prügelnde Polizisten, mit Plastikflaschen um sich schlagende Demonstranten – das sind eher ungewöhnliche Bilder aus Taiwan. Nachdem am Sonntagabend mehrere Dutzend Demonstranten vor dem Sitz des Präsidenten den Stacheldraht niederrissen und mit Leitern bis in den zweiten Stock des Gebäudes gelangten, kam es seitdem zu den bislang heftigsten Auseinandersetzungen des schon einwöchigen Protests.

Über 1.000 Polizisten rückten an. Die Demonstranten wehrten sich und bildeten Menschenketten, indem sie ihre Arme miteinander verschränkten und sich auf den Boden legten. Daraufhin setzte die Polizei Wasserwerfer ein. Augenzeugen zufolge kam es zeitweise zu einer regelrechten Straßenschlacht. Das taiwanische Fernsehen zeigte am Montagmorgen Bilder von blutüberströmten Gesichtern.

„Plötzlich wurden wir mit Wasser angegriffen, der Druck war sehr stark“, wird der frühere Ministerpräsident Frank Hsieh von der chinakritischen oppositionellen Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) zitiert. Seine Partei unterstützt die Proteste.

Die offizielle Bilanz am Montagmorgen: 61 Festnahmen, über 160 Verletzte, darunter 52 Polizisten. „Die Studenten sind zu weit gegangen“, kritisierte Ministerpräsident Jiang Yihua von der konservativen Kuomintang (KMT).

Seit einer Woche halten Hunderte Demonstranten das Parlament besetzt. Auslöser war, dass die KMT eine Debatte über ein umstrittenes Freihandelsabkommen mit China von der Tagesordnung gestrichen hatte. Die meisten Demonstranten sind Studenten umliegender Universitäten. Ihr Protest wendet sich gegen Taiwans Präsident Ma Yingjeou und seine aus ihrer Sicht „undemokratischen und intransparenten Methoden“.

Ma hatte im Sommer 2013 das Freihandelsabkommen mit China vereinbart. Es soll Firmen aus der Volksrepublik erlauben, in 64 Branchen von Taiwans Dienstleistungssektor zu investieren, darunter im Handel, Gesundheitswesen und in der Gastronomie. Umgekehrt sollen Firmen aus Taiwan Zugang zu 80 Branchen in der Volksrepublik erhalten. Es bedarf nur noch der Zustimmung des Parlaments.

Die oppositionelle DPP, die im Gegensatz zur regierenden KMT eine auch offizielle Unabhängigkeit Taiwans von der Volksrepublik anstrebt, wettert heftig gegen das Abkommen. Es würde Taiwan erpressbar machen. Taiwan, das offiziell Republik China heißt, ist de facto seit 1949 unabhängig von der Volksrepublik, was aber heute nur noch 22 kleine Staaten auch offiziell anerkennen. Peking dagegen betrachtet die vorgelagerte Insel als abtrünnige Provinz und droht immer wieder mit Militärschlägen, sollte sich Taiwan offiziell für unabhängig erklären.

Bei dem Abkommen sprachen DPP-Politiker von „Überflutung durch Festlandchinesen“ vergleichbar mit Hongkong in den vergangenen Jahren. Dabei sieht das Abkommen gar keine Öffnung des Arbeitsmarkts vor.

Präsident Ma wirft der DDP „gefährliche Zündelei“ vor. Sie würde die Studenten instrumentalisieren. Eine Rücknahme des Abkommens würde Taiwans internationale Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen.

Seine Worte zeigten kaum Wirkung: Einige Demonstrationen der vergangenen Tage in der Innenstadt von Taipei zählten mehrere Zehntausend Teilnehmer.