„Die libanesische Regierung wird stürzen“

Obwohl Syrien seit dem Krieg an Macht im Libanon verloren hat, bleibt es ein entscheidender Akteur. Und Damaskus wird weiter Waffentransporte an die Hisbollah tolerieren, meint der syrische Politologe Sami Moubayed

taz: Herr Moubayed, wo steht Syrien nach dem Krieg im Libanon?

Sami Moubayed: Syriens Machthaber fühlen sich durch den Krieg gestärkt. Sie benutzen den Sieg der Hisbollah, um die Koalition vom 14. März (Bündnis anti-syrischer Kräfte im Libanon um den Sohn des ermordeten ehemaligen Ministerpräsidenten Hariri, Anm. d. Red.) zu schwächen. General Aoun, Hassan Nasrallah und Präsident Assad arbeiten daran, die Regierung Siniora zu stürzen.

Mit Gewalt?

Nein, mit politischen Mitteln. Sie haben zwar nicht die Medienmaschinerie wie sie die 14.-März-Kräfte haben, aber zahlenmäßig sind sie überlegen. Denn die Schiiten stellen die Mehrheit im Libanon und ein Teil der Christen steht hinter Aoun. Der Sturz der libanesischen Regierung hat begonnen.

Wie wahrscheinlich ist eine Stationierung internationaler Truppen an der syrisch-libanesischen Grenze?

Syrien wird das nicht dulden. Es wäre eine Provokation, wenn syrische Autos an der Grenze zum Libanon von ausländischen Soldaten kontrolliert würden. Außerdem wäre es schwieriger, die Hisbollah mit Waffen zu versorgen, denn die Unifil würde alles konfiszieren. Natürlich können die Syrer den Libanesen eine Stationierung internationaler Truppen auf ihrer Seite der Grenze nicht verbieten, aber Syriens Ankündigung, in diesem Fall die Grenze zu schließen, setzt die Regierung in Beirut so unter Druck, dass sie es bislang ablehnt.

Aber al-Assad hat Kofi Annan versprochen, die Grenze zu überwachen, um den Waffenschmuggel zu verhindern.

Die offizielle Linie ist, dass Damaskus keine Waffen an die Hisbollah liefert. Aber jeder weiß, dass Irans Waffentransporte durch Syrien gehen. Syrien ermöglicht den Transfer, weil es über die Hisbollah seinen eigenen Krieg mit Israel führt. Syriens Machthaber können diesen Trumpf nicht aufgeben. Aber sie können Kofi Annan auch nicht sagen, ja, wir schicken Waffen. Sie müssen sich einer diplomatischen Sprache bedienen.

Ist Syrien bereit, mit Israel zu verhandeln? Die letzte Rede von Präsident Assad klang so unversöhnlich, dass der deutsche Außenminister Steinmeier seinen Besuch in Damaskus kurzfristig absagte.

Präsident Assad hat in dieser Rede klar gesagt: Wir wollen Frieden. Wir führen Krieg, aber das Ziel des Krieges ist Frieden. Er sagte, wir wollen so schnell wie möglich Gespräche über die besetzten Golanhöhen, aber wenn diese nicht zustande kommen, können wir auch zu militärischen Mitteln greifen. Das haben viele ausländische Beobachter falsch verstanden, einschließlich der deutschen. Die Syrer sind an einem Frieden interessiert, aber ob die Israelis dazu bereit sind, bezweifle ich.

Während des Krieges schienen europäische Politiker überzeugt, dass der Weg zum Frieden in Nahost durch Damaskus führt.

Ja, das Verhältnis zu Europa hat sich entspannt. Steinmeier hält trotz seines abgesagten Besuchs an einer Einbeziehung Syriens fest. Die spanische und die italienische Regierung stehen in engem Kontakt mit Damaskus. Das Problem ist Frankreich. Das Regime geht davon aus, dass sich die Beziehungen zu Europa nicht grundlegend verbessern lassen, so lange Chirac im Élysée sitzt. Genauso wie sich das Verhältnis zu den USA nicht verbessern lässt, solange Bush an der Macht ist. Deshalb wendet sich Damaskus nach Osten, nach China, Malaysia, Russland und Indien. Damit will es die Europäer zum Umdenken bewegen. Denn sobald sie um ihren politischen Einfluss und ihre wirtschaftlichen Interessen fürchten, sind sie wieder zum Dialog mit Syrien bereit.

Warum hat Syrien die Chance auf einen Dialog mit dem Westen während des Krieges im Libanon nicht besser genutzt?

Was hätten sie tun sollen? Hassan Nasrallah anrufen und ihn am Telefon auffordern, die Kämpfe zu stoppen? Er hätte nicht auf sie gehört. Dieser Krieg ist der erste Konflikt im Libanon seit 1970, der ohne die Hilfe Syriens gelöst wurde.

Syrien braucht die Hisbollah also mehr als umgekehrt?

Auf jeden Fall. Früher brauchten die Syrer im Libanon niemanden, jeder brauchte Syrien – besonders die Hisbollah. Nach dem Bürgerkrieg wollte sie ihre Waffen behalten und musste ihre militärische Präsenz legitimieren. Aber dann befreite die Hisbollah im Jahr 2000 den Südlibanon und wurde eine unabhängige Gruppe mit eigener Berechtigung. Kurz darauf starb Präsident Hafis al-Assad und die libanesischen Syrien-Gegner meldeten sich zu Wort. Seitdem braucht Syrien einflussreiche Verbündete im Libanon, die sich für seine Politik einsetzen. Die Hisbollahführer verhalten sich Damaskus gegenüber loyal. Sie sagen, in den 90er-Jahren standen die Syrer uns zur Seite, jetzt brauchen sie uns. INTERVIEW: KRISTIN HELBERG