Die Blaublütige und die Einwanderin

DUELL „Mutter Courage“ gesucht. Zwei Frauen kämpfen am Sonntag um den Einzug ins Pariser Rathaus

AUS PARIS RUDOLF BALMER

Paris ist immer unvergleichlich, auch bei den Kommunalwahlen an diesem Wochenende. Schon jetzt steht fest, dass ein Wechsel stattfindet, auch wenn es am 30. März noch zur Stichwahl kommen sollte: Nach einer Reihe prominenter Männer (Chirac, Tibéri, Delanoë) wird erstmals eine Frau maire. So normal das – 70 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts – sein müsste, für Frankreich ist es immer noch eine Sensation, dass eine Bürgermeisterin ins Stadtschloss am rechten Seineufer einzieht.

Gemeinsam ist den beiden Frauen höchstens die fremde Herkunft. Sonst sind die beiden Kandidatinnen nicht nur in ihren politischen Ansichten und wegen ihrer Parteizugehörigkeit grundverschieden.

Duell der Erbinnen

Die Sozialistin Anne Hidalgo (54) war bisher als Erste Vizebürgermeisterin die rechte Hand von Bertrand Delanoë, der nach dreizehn Jahren und zwei Mandaten nicht mehr antreten will. Er hat Hidalgo zur Garantin seiner weitgehend geschätzten Politik bestimmt. Ihre konservative Gegnerin, die UMP-Abgeordnete Nathalie Kosciusko-Morizet (41), war bis 2013 Bürgermeisterin des Pariser Vororts Longjumeau, bekannt wurde sie aber als Ministerin und Sprecherin von Expräsident Nicolas Sarkozy in der Zeit von 2007 bis 2012. Seitdem kennt man sie in Frankreich unter dem Kürzel NKM.

Die dunkelhaarige „Ana“ Hidalgo ist ein Immigrantenkind und steht dazu. Sie wurde in San Fernando bei Cádiz in Andalusien geboren und kam mit ihren Familie als Zweijährige 1961 nach Lyon. Seit 1973 erst besitzt sie zusätzlich zur spanischen die französische Staatsbürgerschaft. Paris möchte sie als „offene Weltstadt“ sehen. Bei keinem Auftritt versäumt sie es, sich speziell an die vielen anderen Pariser und Pariserinnen mit ausländischen Wurzeln zu wenden. Da sie ihre Karriere nur der eigenen Strebsamkeit und ihrem politischen Engagement verdankt, sieht sie sich als erfolgreiches Integrationsmodell.

Auf die Frage nach ihrem etwas komplizierten Namen verweist NKM gern stolz auf die Abstammung von dem polnischen Nationalhelden Tadeusz Kociuszko. In Frankreich gehören die Kosciusko-Morizets zum alten Politikadel. NKMs Großvater Jacques Kosciusko spielte als Widerstandskämpfer beim Pariser Aufstand 1944 eine bedeutende Rolle und wurde nach einer Karriere in der gaullistischen Partei RPR schließlich Botschafter. Bei seiner Heirat mit Marianne Morizet, der Tochter eines Mitbegründers der Kommunistischen Partei Frankreichs, legte er sich den Doppelnamen zu.

Sich volksnah zu geben, das ist bei diesem Hintergrund schwer für die Jüngste des Clans. Als Ministerin zog sie mit waghalsig hohen Absätzen und elegantem Prêt-à-porter das Interesse der Medien auf sich. Im Wahlkampf präsentierte sie sich in der Illustrierten Paris Match in Jeans und schwarzem Lederjackett bei einer Zigarette mit zwei Clochards. Auf die Frage, wie viel denn ein Ticket für eine Einzelfahrt in der Pariser Metro koste, musste sie raten … und tippte daneben. Ein gefundenes Fressen für ihre Gegner, die ihr gern „bourgeoises“ Gehabe vorwerfen.

Hidalgo wirkt im Gegensatz dazu schlicht, fast ein wenig trist. Hat Paris nicht mehr Glamour verdient?, musste sie sich gelegentlich fragen lassen. Aber das hält sie nicht davon ab, weiter in schmucklosen Turnhallen zwischen den Hochhausgevierten des sozialen Wohnungsbaus aufzutreten – wie jüngst im 14. Arrondissement.

NKM wie Hidalgo lassen die Medien in Sachen Look, Make-up und Mode nichts durch. Was letztlich nur beweist, dass es die Frauen in der sexistisch geprägten Politik in Frankreich immer noch viel schwerer haben. Die erste Frau als maire muss wohl eine „Mère Courage“ sein.

Nationale Testwahl

Als Wahlrednerinnen habe beide Spitzenkandidatinnen nicht sehr viel Charisma. Sie versuchen dies mit Aggressivität auszugleichen. In der Heftigkeit ihrer polemischen Angriffe stehen sie den männlichen Lokalmatadoren im Pariser Wahlkampf indes in nichts nach.

NKM bezeichnet Hidalgo als bloße „Erbin“ ihres Mentors Delanoë, die „von nichts eine Ahnung hat“, und prophezeit, mit ihr werde Paris in einen „Winterschlaf“ fallen. Hidalgo sieht in NKM eine politische „Fallschirmspringerin“, die aus wahltaktischem Kalkül ihr Mandat in Longjumeau aufgab, um in der Hauptstadt zu kandidieren, zu der sie keinerlei Beziehung habe. Präziser sind Hidalgos Angriffe auf die rechte Opposition, die sich dem Sozialwohnungsbau, der Straßenbahn, den Mietfahrrädern „Vélib“ und Elektromobilen „Autolib“ bis an den Rand der Obstruktion widersetzt hätten.

In ihrer Partei musste sich NKM bei Vorwahlen durchsetzen. Das hat sie brillant geschafft. Da sie einen Kantersieg der UMP gegen die bisherige rot-grüne Stadtregierung für eher unwahrscheinlich halten, zogen es mehrere ihrer Rivalen (darunter Expremierminister François Fillon) vor, gar nicht erst anzutreten. Alle Umfragen prophezeien ihr wenige Tage vor der Abstimmung eine Niederlage. An ihrem Auftritt in der Arena des „Cirque d’Hiver“ zieht sie ihre letzte Trumpfkarte: „Eine Stimme für Hidalgo ist eine Votum für Hollande“, ruft sie, und die 2.000 versammelten Anhänger stimmen hoffnungsvoll den bekannten Slogan der französischen Fußballfans an: „On va gagner! On va gagner!“ (Wir werden siegen!)

Als Oppositionspolitikerin hat Nathalie Kosciusko-Morizet alles Interesse, die Wahl in einen nationalen Test zu verwandeln, bei dem die Hauptstadtbewohner ihren Unmut über den sozialistischen Präsidenten François Hollande und seine Linksregierung abreagieren sollen. Diese haben verstanden: Es geht am Sonntag um mehr als einen Streit zwischen einer Blondine und einer Brünetten.