Silver Ager mischen mit

NEUE TÖNE Aktive Lebensgestaltung im Alter heißt auch, sich zu engagieren: eine von Pensionären organisierte Veranstaltungsreihe macht’s vor

Mit Experten und Akteuren werden Themen wie Gentechnik, die Ressource Wasser oder der Klimawandel diskutiert

VON HEIDE REINHÄCKEL

„2030 – Aufstand der Alten“, unter diesem Titel beschrieb ein Fernsehspiel erst kürzlich den Überlebenskampf von Rentnern nach dem Zusammenbruch staatlicher Fürsorgesysteme. Zwar in einer fiktiven, jedoch gar nicht mal so fernen Zukunft. Besser ist es natürlich, sich schon in der Gegenwart um die Welt von morgen zu kümmern – ein fortgeschrittenes Alter muss dafür auch kein Hindernis sein. Bestes Beispiel ist eine agile Gruppe von Bewohnern des Johanneshauses in Öschelbronn, einem anthroposophisch orientierten „Zentrum für Lebensgestaltung im Alter“. Schon vor knapp zehn Jahren starteten sie „Musik für die Erde“ – durch die Kombination von Vorträgen, Gesprächen und Ausstellungen soll dieses Veranstaltungsformat ein Bewusstsein für die Problematik bedrohter Lebensräume wecken. Damit wollten die Öschelbronner zugleich zeigen: Sich bewusst einmischen, ökologische Verantwortung für die Zukunft übernehmen, das soll, kann und will auch die Generation der „Silver Ager“.

„Am Beginn engagierten sich bei ‚Musik für die Erde‘ noch verstärkt Mitarbeiter des Johanneshauses, des Carl Gustav Carus-Instituts und der Klinik Öschelbronn, die auf einem gemeinsamen Gelände liegen“, berichtete Marianne Worel, die seit 2000 im Johanneshaus lebt. „Ab 2005 lag dann mit der Gründung des gleichnamigen Vereins die Hauptverantwortung bei Annedore Friedrich und mir“.

Unterstützt von einem Freundeskreis organisierte der gemeinnützige Verein in den letzten zehn Jahren die jährliche Konzert- und Vortragsreihe, deren musikalisches Programm sich wie das Who’s who der Chor- und Orchesterszene aus nah und fern liest. So war unter anderem das Südwestdeutsche Kammerorchester Pforzheim zu Gast, das Münchener Kammerorchester, das Ensemble Modern aus Frankfurt, aber zum Beispiel auch das New Yorker Arcos Chamber Orchestra.

Lässt man den Blick über die Auflistung der Referenten der vergangenen Jahre schweifen, staunt man ebenfalls über die große Bandbreite der Eingeladenen: Landwirte, Politiker, Ärzte, Akademiker, Vertreter des regionalen Mittelstandes und GLS-Banker diskutierten in Öschelbronn Themen wie Gentechnik, die Ressource Wasser oder den Klimawandel.

Finanziert wurde das jährliche Kulturevent neben den Eintrittsgeldern durch Spenden des Freundeskreises, der Gemeinde, des Landkreises und private Stiftungen. Nach der guten Vernetzung befragt, gibt Worel zur Auskunft: „Es war unser Lebensinhalt, Ideen und Kontakte für ‚Musik für die Erde‘ zu finden. Wir haben immer aufmerksam das Tagesgeschehen verfolgt, um die jeweils aktuellen Probleme zu thematisieren und um Ideen für mögliche Künstler, Referenten und Verfasser von Grußworten zu bekommen“.

So habe man ganz mutig Klaus Töpfer angeschrieben, der dann 2007 zum Thema „Klima wandeln – Mut zum Handeln“ auch tatsächlich ein Grußwort schickte. „Oft haben sich einfach Sympathien ergeben und es wurden Persönlichkeiten gefunden, deren hohe und verantwortliche Ziele unserem Anliegen Verständnis entgegenbrachten“, so Worel.

Zu Beginn der nuller Jahre, als das Kulturprojekt startete, war ökologische Sensibilisierung noch nicht ganz so selbstverständlich, gehörten Biolebensmittel und Nachhaltigkeitsdiskurse noch nicht so deutlich zum urbanen Zeichensystem. Heute ist die Initiative, die mit ihren Gründern gealtert ist, dagegen wohl schon stärker im gesellschaftlichen Mainstream angekommen. Mit dem Alter der Organisatoren stellt sich nun auch die Frage nach der Zukunft des Projekts: „Mittlerweile sind wir beide über 90 Jahre alt und es fehlt an Menschen, die das Konzept weitertragen“, sagt Worel über Friedrich und sich selbst. In den vergangenen zehn Jahren fanden alle Veranstaltungen und Konzerte im geschützten Rahmen des anthroposophischen Altersheimes in Niefern-Öschelbronn statt, auch dank der Unterstützung der Leitung des Johanneshauses und der Hilfsbereitschaft vieler Mitarbeiter.

Es ist aber erklärtes Ziel des Vereins, ‚Musik für die Erde‘ zukünftig über die Grenzen des Hauses, der Gemeinde und der weiteren Umgebung heraus klingen zu lassen.

Die beiden Hauptorganisatorinnen, die jahrelang mit der Energie und Kreativität einer Agentur für Eventmanagement gearbeitet haben, wünschen sich in ihrer generationsübergreifenden Neugier weiterhin Interessierte und Mitstreiter, um das spannende Veranstaltungsformat fortzusetzen. Momentan wird erst einmal an einem Relaunch der Website gearbeitet.

Schon jetzt sind Worel und Friedrich in ihrem Engagement ein beeindruckendes Role Model für aktives Altern, und sehen sich durchaus nicht als Ausnahme von der Regel: „Unsere Generation ist oft vor Herausforderungen gestellt worden, immer wieder mussten wir Neues lernen oder improvisieren“, betont Friedrich. Wichtig sei es jedoch, sich ein konkretes Projekt zu suchen: „Bei der Gestaltung von ‚Musik für die Erde‘ mitzuwirken ist für mich aber die größte Herausforderung, nicht weil sie am Ende meines Lebens steht, sondern weil es hier um viel mehr geht als um meine Person.“

www.musik-fuer-die-erde.de