„Dämpfer für den Hochmut der Regierung“

Ähnlich wie in Deutschland sind die Grünen auch in Brasilien zu einer Mittelschichtspartei geworden, glaubt der Soziologe Emil Sobottka. Marina Silva habe Dilma Rousseff vor allem in diesem Milieu Stimmen abgenommen. Die Opposition ist stärker als erwartet

■ ist 51 Jahre alt und Professor für Soziologe. Er arbeitet an der katholischen Universität von Porto Alegre und hat sich mit sozialen Bewegungen des Landes beschäftigt.

taz: Herr Sobottka, was hat sich in Brasilien durch die Wahlen vom Sonntag verändert?

Emil Sobottka: Der Hochmut der Regierung hat einen Dämpfer bekommen. Das tut der brasilianischen Demokratie durchaus gut.

Lula hat ja vor vier und acht Jahren auch erst in der Stichwahl gewonnen. Ein Déjà-vu?

Das Schema hat sich nicht grundlegend geändert, das stimmt. Doch ähnlich wie in Deutschland sind die Grünen jetzt überwiegend eine Mittelschichtspartei. Marina Silva hat Dilma Rousseff vor allem in der Mittelschicht Stimmen abgenommen. Vieles wird davon anhängen, wie sich diese Wähler in der Stichwahl verhalten.

Und warum hat José Serra besser abgeschnitten als erwartet?

Die PSDB ist ja gar keine große Partei, aber sie hat geschickt Allianzen geschmiedet. Dennoch ist er angeschlagen – in der Umfragen lag er ja schon mal bei 40 Prozent, aber dann hat er ständig abgebaut.

Warum?

Lula hat sein ganzes Prestige für Rousseff in die Waagschale geworfen.

Wie bewerten Sie die Ergebnisse der Parlaments- und Gouverneurswahlen?

Noch vor sechs Wochen sah es so aus, als ob die gesamte Opposition geschlagen wäre – doch nun zeigt sich, dass sie doch noch sehr lebendig ist. Über ihre Qualität kann man durchaus streiten, aber in mehreren wichtigen Staaten haben ihre Kandidaten gewonnen. Das ist gut für das Gleichgewicht der Kräfte in Brasilien.

Welche Rolle spielen die brasilianischen Medien im Wahlkampf?

Ich glaube, Präsident Lula kann sich gar nicht beklagen, es gab ja mehrere große Korruptionsskandale während seiner Amtszeit. Die Presse hat das meist relativ schnell wieder fallengelassen. Das Problem ist eher, dass Lula schlecht damit umgehen kann, wenn ihn nicht alle vergöttern. Natürlich ist die große Presse in Brasilien seit jeher bürgerlich-konservativ …

und sensibler für die Skandale der Linken?

Unter Lula sind diese Affären viel „unprofessioneller“ gemanagt worden als früher und haben daher mehr Wirbel in der Öffentlichkeit verursacht. Das ist natürlich ärgerlich für die Betroffenen.

Wird es diesmal knapper als 2006, als Lula in der Stichwahl 61 Prozent holte?

Als Politiker ist Serra Rousseff mindestens ebenbürtig, das Hauptproblem sind seine Allianzen bis weit nach rechts.

INTERVIEW: GERHARD DILGER