LESERINNENBRIEFE
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Es ist ein Skandal

■ betr.: „Nein zur Ausgrenzung“, taz vom 1. 10. 10

Der Beitrag wendet sich gegen Rassismus, erfasst aber nicht den eigentlichen Skandal der deutschen Migrationspolitik. Es ist nicht nur legitim, sondern originäre Aufgabe der Politik, für jeden Politikbereich Kosten-Nutzen-Erwägungen anzustellen, natürlich auch für die Migrationspolitik, auch wenn dies nicht das einzige Kriterium sein darf. Jedoch scheinen volkswirtschaftliche Aspekte in der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik keine Rolle zu spielen.

Es ist ein Skandal, dass ein motiviertes vierzehnjähriges Flüchtlingskind, das Deutsch spricht und bestens „integriert“ ist, in das Kosovo abgeschoben wird, obwohl der Staat bereits jahrelang in seine Schulbildung investiert hat und gleichzeitig über zu wenig Geburten lamentiert. Es ist ein Skandal, dass Aufenthaltsgenehmigungen für qualifizierte junge Erwachsene abgelehnt werden, obwohl der Gesellschaft Rentenzahler „geschenkt“ werden, die vorher weder Kosten für Schule, Kindergeld, Berufsbildung etc. verursacht haben. Der Rassismus in Deutschland besteht gerade darin, beim Thema Migration die wirtschaftliche Vernunft außer Kraft zu setzen. Wenn noch nicht einmal wirtschaftliche Gründe mehr Einwanderung ermöglichen, wo soll dann die Grundlage für die Diskussion ethischer Fragen und für eine humanitäre Flüchtlingspolitik sein?

Natürlich ist Herr Sarrazin auch ein Skandal, und wie bereitwillig in diesem Fall der Volksverhetzung das Recht auf Meinungsfreiheit zitiert wird, tut weh. Nichtsdestotrotz halte ich es 65 Jahre nach dem NS für geboten, sich mit dem Thema Rassismus systematisch auseinanderzusetzen. JULIANE BRANDSTÄTER, Halle

Einfache Versuchsanordnung

■ betr.: „Nein zur Ausgrenzung“, taz vom 1. 10. 10

Zur Selbstentlarvung des unterschwelligen Rassismus der Integrationsdebatte auch im Mainstream diesseits von Sarrazin und anderen gibt es eine sehr einfache Versuchsanordnung: Man lasse einen deutschen Politiker mit einer Integrationsforderung, wie hier üblich, einmal vor die deutsche Gemeinschaft in Namibia treten: Die dort in der dritten, vierten oder gar fünften Generation lebenden Deutschsprachigen sollten sich bitte in die afrikanische Mehrheit integrieren, zu deren Regeln. Die Deutschsprachigen in Namibia machen deutlich weniger als lächerliche 2 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Doch ganz selbstverständlich fördert die BRD in Namibia rein deutsche Schulen, rein deutsche Kulturveranstaltungen und Sprachkurse, damit afrikanische Namibier Deutsch lernen, aber keinen einzigen Kurs, damit deutschstämmige Namibier eine der afrikanischen Hauptsprachen Namibias lernen. Träte jemand in Namibia mit einer Forderung an die Deutschsprachigen dort auf, wie es hier für Migranten völlig unhinterfragt üblich ist – man kratzte ihm die Augen aus dafür. TILMAN LENSSEN-ERZ, Köln

So argumentiert kein Demokrat

■ betr.: „Lob der Selbstzensur“, taz vom 1. 10. 10

Wer Selbstzensur lobt und „politische Hygiene“ begrüßt, argumentiert nicht mehr als Demokrat. Diese Begriffe beschreiben Praktiken in autoritären und totalitären Staaten. Wer so argumentiert, will dem Leser vorschreiben, was er zu denken hat. Ich bin taz-Genosse geworden, um eine unabhängige Tageszeitung zu unterstützen. Wenn nun Redakteure anfangen, diese Unabhängigkeit selbst aufzugeben, sobald Ereignisse in der Welt nicht ihrem Weltbild entsprechen – oder möglicherweise dem der Leser –, dann habe ich am Ende keine unabhängige Zeitung mehr. Ich will darüber informiert werden, was in der Welt passiert, egal ob mir das dann gefällt oder nicht. INGO GANZ, Berlin