Die Visionen des Sendermanns

KUNST NSA-Überwachung vorausgefühlt: Anfang der siebziger Jahre tauchten kryptische Warnungen an Berliner Wänden auf. Der Künstler Andreas Seltzer hat damals „Die Sendermann-Serie“ fotografiert

„Abschirmdienst – Spitzel – Verbrecher sind mit Sendern an ihrem Körper“ – mit Slogans wie diesen machte der Sendermann zu Beginn der siebziger Jahre an Berliner Wänden auf sich aufmerksam. Der Künstler Andreas Seltzer dokumentierte damals die Botschaften. Jetzt sind seine Fotografien in der Ausstellung „Die Sendermann-Serie“ in der Laura Mars Gallery zu sehen.

■ Andreas Seltzer: „Die Sendermann-Serie“: Laura Mars Gallery, Di.–Fr. 13–19 , Sa. 13–17 Uhr, bis 5. 4.

VON CLAUDIA BASRAWI

NSA-Affäre, erzwungene Rundfunkgebühren, Spionagedrohnen, Signalerfassungssysteme, die Mobilfunk abhören und elektromagnetische Strahlung von startenden Fahrzeugen oder Mikrowellen empfangen – die Visionen des Sendermanns haben mehr und mehr Gestalt angenommen. Menschen wie ihn hat es natürlich schon immer gegeben, man nannte sie Hellseher, Warner, Propheten, „nicht ganz dicht“ oder eben – Sendermann. Manche von ihnen wurden verehrt, andere für verrückt erklärt.

Letzteres geschah mit dem Sendermann, der jedoch dank des Psychiatrie-Reformgedankens, der zu den Errungenschaften der 68er gehörte, auch auf positive Resonanz stieß, zumindest seitens radikalerer Gruppierungen der Studentenbewegung. Es wird berichtet, dass er an Teach-ins in der TU-Berlin teilnahm und sich bemerkbar machte. Seine Warnungen waren jedoch eher mechanisch und verbanden sich nicht mit dem, was die Studenten zu sagen hatten, sodass man etwa von einer Unterhaltung sprechen konnte. Ein Austausch fand nicht statt.

Ähnlich wie der „Rote Konrad“ als Bindeglied zur Arbeiterbewegung, so trat der Sendermann in den Köpfen der Studenten als Stellvertreter einer sich reformierenden Psychiatrie auf. Es war die Zeit des Kalten Krieges. In den Sprüchen des Sendermanns war immer wieder vom Verfassungsschutz, dem CIA, der SPD und einem „Abschirmdienst“ die Rede, Anfang der siebziger Jahre, als Berlin die erste Adresse für Geheimdienstler und Spitzel war, kein so abwegiges Thema.

Oft wurde der Sendermann, ein kräftiger Mann mit roten Wangen, auf dem Kurfürstendamm gesichtet, wo er mit seinen Transparenten und kryptischen Botschaften wie „Abschirmdienst – Spitzel – Verbrecher sind mit Sendern an ihrem Körper“ die Menschen zu warnen versuchte. Er nahm sogar ein Megafon zur Hilfe und rief den Leuten zu: „Bürger! Entwickelt Initiative! In jedem 3. Haus CIA und Abschirmdienst mit Sendern! Wehrt Euch! Der Verfassungsschutz foltert Bürger mit Sendern!“

Die meisten Konsum-Flaneure mögen ihm mit traumwandlerischer Gemütlichkeit den Vogel gezeigt haben. „Und wenn schon, solange ich nichts zu verbergen habe.“ Doch oben auf dem Teufelsberg thronte die Flugüberwachungs- und Abhörstation der US-amerikanischen Streitkräfte, die Franzosen, Engländer, der BND, Stasi und Verfassungsschutz, alle hatten immer irgendeinen Grund, sich dazuzuschalten, sich gegenseitig zu belauschen und verdächtige Subjekte abzuhören.

Dem Sendermann war das alles total bewusst und er nahm es nicht einfach hin. Über die Jahre hinweg hatte er, ähnlich wie ein Werbefachmann, eine Strategie entwickelt, wahrgenommen zu werden. Transparente tragen, Hauswurfsendungen, Plakate und Flugblätter waren Teil seiner Methode, auf etwas aufmerksam zu machen, das andere Menschen in Ausmaß und Tragweite nicht zu begreifen schienen.

Ein großer Teil dieser Strategie waren die Slogans, die der Sendermann mit weißer Farbe auf den Wänden Berlins hinterließ. Diese Botschaften wurden gepinselt und gesprüht. Nicht erwischt zu werden und trotzdem nach und nach die gesamte Stadt, das heißt in diesem Fall West-Berlin, an neuralgisch wichtigen Punkten zu beschriften, erforderte viel Feingefühl und logisches Kalkül.

In den Sprüchen des Sendermanns war immer wieder von Verfassungsschutz, CIA, SPD und „Abschirmdienst“ die Rede

Der Sendermann hat das irgendwie gut hingekriegt. Er hat es geschafft, seine Botschaften mit der Umgebung, oft auch mit bereits vorhandenen Texten in Kommunikation treten zu lassen.

Dass die meisten dieser sich inhaltlich wiederholenden Warnungen und Slogans erhalten sind, haben wir Andreas Seltzer zu verdanken. Der vielleicht im Sendermann schon damals eine Art Lichtgestalt gesehen hat. Schon Anfang der siebziger Jahre hat Andreas Seltzer die gezielt platzierten Botschaften des Sendermanns mit seiner Kamera festgehalten.

Auf einer der so entstandenen Schwarz-Weiß-Fotografien sehen wir ein Werbeplakat mit einem Weihnachtsmann, dessen Augen den Betrachter fixieren, und der mit seiner kleinen Kodak diesen Moment festhält. „Abschirmdienst Sender Terror“ hat der Sendermann daneben geschrieben. Auf einem anderen Foto wirbt eine nackte Werbefamilie bedeckt von einer Kuscheldecke für „Volles Weich in Hülle und Fülle“. Der Sendermann kommentiert es mit „Sender- Terror-Verfassungsschutz-Bonzen“.

Wie in John Carpenters „They Live“ hat der Sendermann mehr gesehen als die meisten von uns. Ihm war irgendwie klar geworden, dass man nicht nur abgehört, sondern auch manipuliert wird. „Die Regierung ist übergangen worden. Sie hält mit Sendern getextete Reden – Hochverrat.“