Nicht nur aufgesetzt

Ein Wunderkind, bei dem sich atemberaubende Perfektion mit einer Musikalität ohnegleichen paart: Die koreanische Cellistin Han-Na Chang beim Musikfest Bremen

Schon mit elf Jahren hat die koreanische Cellistin Han-Na Chang den Rostropowitsch-Wettbewerb in Paris gewonnen. Ein Wunderkind also, bei denen später nur allzu häufig zu beobachten ist, dass seelische Schäden hingenommen werden müssen, oder dass sie sich musikalisch nur noch mangelhaft entwickeln.

Es war beim Musikfestkonzert der Bremer Philharmoniker fast ein Wunder zu erleben, dass die heute 23-Jährige nichts von diesen Gefahren mit sich trägt, im Gegenteil: eine leichte spielerische Virtuosität von selbstverständlich atemberaubender Perfektion paart sich mit einer Musikalität ohnegleichen. Da wirkt nichts gelernt, nichts aufgesetzt. Ihre extreme Mimik – sie schaut sich um, sucht die Instrumentalpartner mit den Augen auf, mit denen sie gerade kommuniziert, führt ihre Solomusik in einen perfekten, immer spontan wirkenden Dialog mit dem Orchester. Diese kammermusikalische Auffassung entbehrte aber keineswegs einer immensen Kraft und aufblühenden Wucht, was für Antonín Dvoráks Cellokonzert opus 104 so charakteristisch ist.

In dem estnisch-amerikanischen Dirigenten Kristjan Järvi hatte sie neben dem glänzend spielenden Orchester einen unglaublich aufmerksamen Partner, der ihre Impulse ebenso aufnahm wie er seine abgab. Besser kann man das nicht machen und ein kleines Ereignis war Changs Dialog mit der Sologeige der Konzertmeisterin Anette Behr-König, die an diesem Abend eine geradezu traumhafte Klanglichkeit erreichte.

Eine temperamentvolle, von türkischer Volksmusik gespeiste Musik des Türken Ulvi Cemal Erkin war eingangs inspiriert zu hören. Dimitri Schostakowitschs sechste Sinfonie in h-Moll, geschrieben fünf Jahre nach der ersten Maßregelung seines Stils durch Stalin, ist ein Werk tiefster innerer Trauer. Järvi modellierte mit seiner per se aufregenden Körpersprache den bedrohlichen Gestus ebenso präzise wie die langen Ebenen äußerster kaum noch hörbarer pianissimi. Anspruchsvolle Bläsersoli vom Feinsten ergänzten einen Eindruck, der wieder einmal zu neuen Ufern der Bremer Philharmoniker führen könnte.

Bislang waren die Bremer Philharmoniker nicht unbedingt geliebt vom Musikfest. Beide Teile aber gehen nun aufeinander zu, das Dirigat des Musikfestlieblings Kristjan Järvi ist dafür ein deutliches Zeichen: „Die machen eine tolle Arbeit, sie lassen sich auf Prozesse ein und nehmen Impulse auf“, sagt Musikfestintendant Thomas Albert. Und Geschäftsführer Christian Kötter meint dazu: „Die Zusammenarbeit hat sich wesentlich geändert, da lässt sich jetzt vieles ausbauen“.

Das hört man gern, scheint es doch einerseits für das Musikfest wichtig, auch seine Verankerung im traditionellen bremischen Musikleben zu haben, andererseits für die Philharmoniker wirklich qualitätsbewusst dabei zu sein als nur zähneknirschend geduldet.

Ute Schalz-Laurenze