Grundformen der Moderne

KUNST Treppen, die ins Nichts führen, Vögel auf Stahlstangen – Stephanie Sniders Bilder und Skulpturen als ein genreübergreifender Dreischritt in der Galerie Sassa Trülzsch

Alles kommt leicht daher und birgt doch seine Geheimnisse

VON INGO AREND

Eine Treppe am Ende eines Galerieraumes. Das Mauerstück, das darauf steht, wirft einen Schatten. Wer genau hinschaut, wird feststellen, dass er länger ist, als er eigentlich sein dürfte. Kein Wunder: Er ist ja gemalt.

Auf den neuen Bildern Stephanie Sniders kehrt dieser gefakete Schatten wieder: Am Rand einer Spielkarte, die an etwas lehnt, das man für eine Wand halten könnte. Das großformatige Bild selbst lehnt an einer sehr realen Wand. Und zwar auf einer grauen Bank an der Galeriewand in ungefähr demselben Winkel wie die Spielkarte auf dem Bild. Die US-amerikanische Malerin öffnet nicht nur (imaginäre) Räume in den Räumen. Spätestens wenn das schwarze Band aus dem Treppenhaus am oberen Bildrand plötzlich wieder als malerisches Motiv auftaucht, wird klar: Es ist der genreüberschreitende Dreischritt von der Skulptur zum Bild und zurück, den Snider so überzeugend beherrscht. Ausgangspunkt von beidem sind ihre Collagen.

Bei Arbeiten wie diesen ließe sich an eine subtile Institutionen-Kritik denken, an die Hinterfragung des Bildraumes und der Sehkonventionen. Doch dafür ist auf den Bildern der 1969 geborene Künstlerin, die in Yale und Rhode Island studiert hat und heute in New York lebt, dann doch zu viel zu sehen, das eine eigene Geschichte erzählt. Seit ihren frühen Zeichnungen arbeitet Snider, die 2007 als Stipendiatin der American Academy in Berlin war und derzeit ein Guggenheim Fellowship absolviert, mit dem Prinzip der irritierenden Kombinationen. Auf einem Bild sieht man die Schemen einer alten Postkutsche. Darüber schwebt ein abstrakter schwarzer Mond, im Hintergrund verschwimmt ein Lochmuster. Ähnlich sind ihre Skulpturen aufgebaut: Treppen, die ins Nichts führen, Vögel auf Stahlstangen, hölzerne Paravents. Über dem dünnen Stahlrahmen einer stuhlartigen Skulptur liegt der weich zerfließende Grundriss eines Puppenhauses aus dem 19.Jahrhundert, wie ein Scherenschnitt aus dunklem Gummi, eine Reminiszenz an ihre Kindheit. In diesen surrealen Tableaus finden sich dann wieder abstrakte Symbole. Kreise etwa, die sie zu kleinen Skulpturen verschränkt, welche an Inkunabeln der Klassischen Moderne erinnern. Light Silence, Dark Speech, der Ausstellungstitel, meint: Alles kommt leicht daher und birgt doch seine Geheimnisse. Auf Stephanie Sniders Arbeiten schaut man ähnlich wie auf Giorgio de Chiricos melancholische Pittura metafisica: Wie auf einer Bühne sind hier Landschaften persönlicher und kollektiver Erinnerungen aufgebaut, in denen der Akteur fehlt. In den architektonischen Strukturen, textilen Mustern, Schriftzügen und geometrischen Formen, die Snider benutzt, lässt sich zuweilen eine Referenz an das Design erkennen, das die Künstlerin zwei Jahre lang an der Rhode Island School of Design lehrte. Sie lassen sich aber auch als Codes lesen, die jederzeit den Weg zurück aus den aufgeladenen Assoziationslandschaften ermöglichen. In den Skulpturen sind es die Grundformen der Moderne oder ein rundes Holzgerüst, dass an Tatlins Monument der Dritten Internationale erinnert.

Und wer hat schon einmal eine „Landschaft mit Umlaut“ gesehen? Auf dem Bild aus dem Jahr 2006 schwebt ein großes „ü“. Trotz der rätselhaften Motive, die sie verwendet, geht es Snider immer darum, das illusionistische Verfahren der Kunst offen zu legen. Auf ein Ölbild übereinander gelegter Spüllappen, die von abstrakten Mustern fast nicht zu unterscheiden sind, hat sie in deutscher Frakturschrift eine beliebte Definition geschrieben: Alles Lüge.

■ Stephanie Snider: „Light Silence, Dark Speech“. 028 Sassa Trülzsch, Berlin, bis zum 30. Oktober