DEUTSCHE MÄNNER SIND NICHT AUSLÄNDERFEINDLICH. SIE SIND NUR DICKENFEINDLICH
: Disko-Aufschrei

JACINTA NANDI

„Ich war gestern in einer Disko“, sagt meine Freundin Christina. Christina ist neu in Berlin, frisch aus dem Flugzeug gestiegen, quasi. Sie findet Sachen noch total nazimäßig, die echt nicht nazimäßig sind. Flaschenpfand zum Beispiel, oder dass man bei der Videothek seinen Reisepass vorzeigen muss. Okay, gut, das ist doch ein bisschen nazimäßig.

Christina ist sexy und hübsch. Finde ich zumindest. Ich glaube nicht, dass sie dick ist, aber ich glaube, dass sie für deutsche Leute nicht schlank ist. Sie ist so alt wie ich, so 33, trägt eine nuttige Brille und ist nicht total weiß. Also, sie sieht nicht total weiß aus. Sie sieht migrationshintergrundlich aus. So dunkelbeige. Oder hellbraun.

„Ja“, sage ich.

„Niemand hat mich angebaggert!“, ruft sie. „Was ist mit denen? Ist das nicht total nazimäßig? Sind sie so ausländerfeindlich?“ – „Na ja“, sage ich. Ich seufze, leicht deprimiert. „Als ich neu in Deutschland war und in die Disko ging, habe ich gedacht, dass deutsche Männer Frauen einfach nicht anbaggern. Habe mich gewundert, aber auch gefreut, irgendwie. Aber dann passierte was letztes Jahr bei Twitter. Die Frauen haben sich aufgeregt wegen sexueller Belästigung – es war voll feministisch, Hashtag Aufschrei. In den Diskos oder auf der Straße. Da wollte ich voll solidarisch sein, aber ich war ein bisschen neidisch. Niemand belästigt mich in Deutschland, sie baggern mich nicht mal in Diskos an. Habe mich dann damit getröstet, dass es sich wohl um Ausländerfeindlichkeit handelt, das tröstet eine Weile, aber dann sagte mir eine halbarabische Freundin, dass sie immer sexuell belästigt wurde – auf eine ausländerfeindliche Art! Dann hatte ich keinen Trost mehr, ich musste zugeben, dass ich einfach …–“

Ich zögere. Ich weiß nicht, ob ich jetzt das sagen soll, was ich eigentlich sagen will.

„Was?“ fragt sie.

„Dass ich einfach zu dick für deutsche Männer bin. Ich glaube, dass sie nicht ausländerfeindlich sind. Sie sind dickenfeindlich.“

Es ist nicht so, dass ich sexuelle Belästigung gut finde. Als Mädchen in England kam ich von den Diskos nach Hause, dekoriert mit blauen Flecken, wo ich begrapscht worden bin. Ich dachte, das sei normal, sei der Preis dafür, wenn Mädchen in Diskos gingen. Oder einmal bin ich in der U-Bahn angefasst worden, ziemlich schlimm, von einem Mann, von dem ich behaupten würde, er sei pervers. Ich war siebzehn, jobbte in West-London, kam nach Hause, ich tat meiner Mama voll Leid. Sie machte mir eine Tasse Tee und sagte: „Du Arme! Aber es gibt immer Perverse in der U-Bahn, man muss aussteigen und die nächste Bahn nehmen.“

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Das finde ich scheiße.

Aber mich drüber zu freuen, so unsichtbar zu sein, dass mich keiner in der Disko anbaggert, nicht mal anguckt, so feministisch bin ich auch wieder nicht. Ich warte noch, bis mein Sohn groß ist, bevor ich zurück nach England gehe. Bis dahin bin ich bestimmt vierzig. Da werden sogar Engländer mich nicht mehr anbaggern. Es ist echt traurig. Noch trauriger als die Tatsache, dass ich angebaggert werden will, ist die Tatsache, dass es nie wieder passieren wird.