UNTER WIRTEN 1
: Keiner kauft sich frei

Ein Ruck geht durch die Wirte. „Aaah, das Syndikat!“

„Ihr wollt sicher irgendeinen Scheiß trinken“, sagt der Barkeeper im Cirkus Lemke und legt den Kopf schief über der Nadelstreifenweste, in der auf halbem Weg der rote Schlips verschwindet. Dafür war er extra mit einem Klemmbrett an unseren Tisch gekommen. Mein Begleiter, ebenfalls Wirt, lässt sich nicht beirren. Wirtshumor. „Ein Scheiß-Pils bitte“, sage ich. Bevor ich nach der beschissensten Sorte fragen kann, hat er mir schon eins hingestellt: das kleinste. Und teuerste. Aber beim Service gibt’s nichts zu meckern.

Und so bleiben wir. Am Tresen ist großes Neuköllner Wirtstreffen. Da sind der Wirt meiner Ex-Stammkneipe und mein Wirt. Und der Lemke-Wirt. Nachdem der Laden verrammelt ist, klopft die vollbärtige Nachtschicht aus dem Syndikat. Ein Ruck geht durch die Wirte. „Aaah, das Syndikat!“ Ein Kennerblick auf die Uhr: „Ganz schön früh.“ Dann trinken die Wirte nach Wirtsmanier. Schnell. Und fachmännisch. Rückstandslos. Mein Begleiter beobachtet, wie der Lemke-Wirt einen Pfeffi macht, den klapprigen Wartburg zum Porsche aufrüstet, mit Minzlikör und einem Schluck aus der schlanken Flasche mit rotem Etikett (ja, was weiß ich, bin ja kein Wirt!). Dann rührt er mit einem Zahnstocher um. Fertig. Der Bier-Spelunken-Wirt kippt das Gläschen unbeeindruckt. „Oooh!“, sagt mein Wirt hingerissen. Klarer Fall von Wirtsneid.

Dann zieht die Versammlung der Wirte weiter. Im Laidak wartet das Barpersonal schon sehnsüchtig. Die Spuren der schnöden Gäste sind beseitigt. Die wichtigste Grenze – vor und hinter der Theke – ist gefallen. Das Wirtsleben ist grenzenlos. Zeitlos. Es ist beinahe sieben, und immer, wenn ich aufstehe, werden die Wirtsgläschen nachgefüllt. Ans Zahlen ist nicht mehr zu denken. Das Wirtscredo: Niemand kauft sich frei. Als die ersten Vögel zwitschern, schaffe ich es, durch die zum Lüften geöffnete Tür zu entwischen. SONJA VOGEL