„Nicht nur nehmen, nehmen, nehmen“

PROVINZ Bei Stefan Raabs Bundesvision Song Contest geht am heutigen Freitag für Bremen die Band Kleinstadthelden aus Osterholz-Scharmbeck an den Start. Ein Gespräch mit Sänger Simon Lam über Heimat und die Vorteile der Metropole

■ ist der Sänger der Band Kleinstadthelden und seit der Bandgründung 2004 dabei. Er lebt in Bremen und hat dort gerade seinen Master als Grundschullehrer gemacht.

taz: Das zweite Album der Band Kleinstadthelden heißt „Osterholz-Scharmbeck“. Ist das ein Bekenntnis zur Provinz?

Simon Lam: In gewisser Weise schon. Dreiviertel der Band kommen aus Osterholz-Scharmbeck, Studio und Proberaum sind nach wie vor dort, die ganze Platte ist da entstanden. Wir wollten der Stadt kein Denkmal setzen, aber ihr Name beinhaltet viel von dem, wofür sie steht und passt perfekt zum Album –etwas Weiches und etwas Kantiges zugleich.

Habt ihr ein gespaltenes Verhältnis zur Provinz?

Auf jeden Fall. Wer an Orte wie Osterholz-Scharmbeck denkt, mit seinen 30.000 Einwohnern, hat ja Kleinstadtromantik ebenso vor Augen wie Kleinstadtwut. Alles ist nur einen Katzensprung entfernt und irgendwie vertraut, doch dafür ist überhaupt nichts los, solange man es nicht selber auf die Beine stellt. Um dieses Vakuum zu füllen, habe ich jahrelang selber Konzerte veranstaltet. Ohne Eigeninitiative läuft gar nix. Das macht die Kleinstadthelden aus. Wir haben alles in unseren Händen, sind unser eigenes Label, unsere eigenen Veranstalter.

So gesehen ist die Kleinstadt der ideale Nährboden für Musik.

Ja, denn man kommt gar nicht auf die Idee, sich auszuruhen, wenn man wirklich was erleben will. Das hat uns die Kleinstadt mitgegeben.

Und keine Fluchtgedanken?

Wir haben natürlich schon beobachtet, wie viele Leute nach dem Abi abhauen –schon weil man hier nicht studieren kann. Aber man ist eben auch in 20 Minuten mit der Bahn in Bremen, deshalb waren wir alle auch immer irgendwie ein bisschen Bremer, da sehnt man sich nicht ständig nach der Großstadt. Obwohl Bremen selbst ja ein wenig Kleinstadt ist.

Mit einer halben Million Einwohnern?

Im Vergleich zu Hamburg oder Berlin ist es trotzdem überschaubar. Man kennt sich da in den einzelnen Szenen. Trotzdem kann man sich auch da gut ausruhen, fast verstecken. In großen Städten ist es viel anonymer als in Osterholz-Scharmbeck, wo jeder jeden kennt. In Bremen kann man auch mal drei Tage im Bett liegen bleiben, ohne dass sich gleich der Nachbar das Maul zerreißt. Je größer die Städte, desto leichter wird das Leben, weil man sich einfach so treiben lassen kann, ohne selbst richtig schwimmen zu müssen. Deshalb suchen wir auch immer wieder den Weg nach Osterholz-Scharmbeck, um sich nicht an den Luxus zu gewöhnen, einfach nur zu konsumieren. Wir wollen nicht nur nehmen, nehmen, nehmen, sondern machen, machen, machen.

Findet sich das auch in eurer Musik wieder?

Das ist schwer zu sagen, weil ich nun mal hier aufgewachsen bin und nicht in Hamburg. Da fehlt mir der Vergleich am eigenen Leib.

Eure Musik klingt recht getragen und ernst, ganz frei von jeder Selbstironie, wie man sie von einer Platte, die das Thema Kleinstadt verarbeitet, erwarten könnte.

Wir machen ernste Musik, weil wir als Künstler ernst genommen werden wollen. Aber die Musik entsteht nicht am Reißbrett, um ein bestimmtes Bild zu transportieren. Das Leben ist leider kein Ponyhof, das spiegelt sich in den Liedern wieder, in denen wir Momentaufnahmen unseres Alltags erzählen.

Klingt autobiografisch.

Das macht uns aus. Wir sind ja vier Songwriter, dadurch wird das Album eher uneinheitlich und vielseitig, „Nicht nur“ ist eine ruhige Nummer, „Vögel“ geht nach vorne, „Winter im Juli“ hat folkige Elemente. „Trashpop for Truckers in love“, sagen wir gerne. Ich hoffe, man hört unser Herzblut heraus.

Reicht das für den Bundesvision Song Contest?

Na ja, mit einer Fanbase wie der von Unheilig oder Ich + Ich können wir natürlich nicht mitstinken. Deshalb steht für uns erstmal der olympische Gedanke im Vordergrund. Und die Chance, uns vor einem Millionenpublikum präsentieren zu dürfen. Aber in Bremen spricht man ja gern vom Wunder von der Weser.

Und wenn das eintritt, verlasst ihr dann die Kleinstadt und geht doch in eine Metropole?

Auf keinen Fall, wir haben unser Hauptquartier hier und fühlen uns verdammt wohl. Unsere vier Wände verlassen wir nicht so einfach. INTERVIEW: JAN FREITAG

Bundesvision Song Contest mit den Kleinstadthelden: Freitag, 1. 10., 20.15 bis 23.45 Uhr, ProSieben