Unsolidarische Ärzte

Um Krankenschwestern vom Streik abzuhalten, drohen ihnen Ärzte der Charité mit Abmahnungen

Das Pflegepersonal der Charité streikt seit gestern Morgen für mehr Lohn. Auf harte Auseinandersetzungen mit der Klinikleitung waren sie vorbereitet – nicht aber darauf, ausgerechnet von den Ärzten im Stich gelassen zu werden, die selbst gerade einen Arbeitskampf hinter sich haben. Mehrere Krankenschwestern berichteten davon, dass Kolleginnen von ihrem ärztliche Abteilungsleiter mit Abmahnungen bedroht wurden, falls sie nicht zur Verfügung stehen würden. Die Gewerkschaft Ver.di bestätigte dies der taz. „Die Ärzte üben Druck aus, wenn jemand streiken will – dabei sei das Streikrecht ein rechtlich geschütztes Gut“, sagte Ver.di-Sekretär Werner Koop. Insgesamt beteiligten sich nach seinen Angaben 140 Ver.di-Mitglieder an dem Ausstand an den Standorten Mitte und Virchow. Sie fordern 4,4 Prozent mehr Lohn und den Verzicht von betriebsbedingten Kündigungen. Die Klinikleitung möchte die Gehälter einfrieren. Der Streik wird heute fortgesetzt.

Eine protestierende Anästhesieschwester hat ein Stück weit Verständnis für die Mediziner: „Sie stehen unter enormem Druck von oben. Ihre Abteilungen müssen reibungslos funktionieren.“ Um das zu gewährleisten, erklären Ärzte offenbar auch Patienten zu „akuten Fällen“, bei denen eine sofortige OP nicht nötig ist. „Auf meiner Station sind plötzlich fast nur noch Notfälle“, berichtet eine streikende Kollegin. Sie rechne dauernd damit, an den OP-Tisch gerufen zu werden. Dass Herzpatienten schnell operiert werden müssten, sehe sie ein, anders sei dies etwa bei Hüftgelenks-OPs.

Ver.di und die Klinikleitung haben eine Notdienstvereinbarung unterschrieben, um Personal für Not-OPs zu gewährleisten. Ver.di-Sekretär Koop wirft den Ärzten vor, das auszunutzen, um den Ausfall gering zu halten.

Die Charité-Leitung verteidigt die Ärzte. „Die ärztlichen Leiter haben die Kompetenz, zu entscheiden, wer sofort operiert werden muss“, so Sprecherin Kerstin Endele. „Auf keinen Fall“ sei es die Linie des Hauses, Ver.di-Mitglieder vom Streiken abzuhalten. Auch dass diesen mit Abmahnungen gedroht würde, sei keine Linie des Vorstands, könne aber in „Einzelfällen“ vorkommen. KERSTIN SPECKNER