berliner szenen Gezupftes Huhn

Die Augenbraue

Erst gönnt sie sich ein Eis und dann eine kosmetische Behandlung. Hätte sie sich doch zwei Portionen Eis gegönnt. Dann wäre sie noch attraktiv, noch wiederzuerkennen, noch ein wenig Frida Kahlo. Ausdrucksstark und interessant. Die Frau mit den Pinzettenhänden hat ihr die linke Augenbraue halb entfernt, die rechte ganz. „In drei Monaten ist das alles wieder da“, beruhigt sie anschließend und zuckt mit den Schultern. „Ranmachen kann ich da jetzt nichts mehr.“ Es ist windig auf der Straße und sie friert an der Stirn. Zur Beruhigung fährt sie sich über ihre haarigen Unterarme. Wenigstens da ist noch was.

Der Freund aus England schickt ein Piratenset nach Berlin. Darin: ein Kopftuch, ein Ohrring, eine Augenklappe und ein aufklebbarer Schnurrbart. Das Schreiben ist knapp und so schwarzgetränkt wie sein Humor: „Versuch es mit der Augenklappe, sonst mach aus dem Bart eine Monobraue.“ Weil der Gummi der Augenklappe reißt, klebt sie sich den Oliba über ihr rechtes Auge. Sie blickt in den Spiegel, ihr fallen Waigelwitze ein, die sie von ihrer Schwester kennt. Sie runzelt mit der Stirn und merkt, dass sie nicht mehr richtig böse gucken kann. Es ist nichts zum Zusammenziehen da. Sie versucht, eine Stirnfalte auf ihrer Nasenwurzel entstehen zu lassen. Da löst sich die Bartbraue und fällt auf die Fliesen im Bad. Sie bleibt dort liegen wie eine fette tote Raupe. Mit einem Kajal aus einem der Kulturbeutel malt sie sich einen Bogen über das Auge. Er sieht aus wie der Mund ihrer Musiklehrerin. Sie dreht den Kopf. Von rechts gleicht sie jetzt einer Diva. Einer, die chronisch Migräne hat. Fehlt nur noch die passende Frisur, kinnlang. Sie beschließt, noch ein Eis essen zu gehen. Und dann mal sehen.LENA HACH