HAMBURGER SZENE VON REBECCA CLARE SANGER
: Hin und weg

Die dunkelgrünen Alleebäume können sich freuen, überhaupt mal zu Wort zu kommen

Hier wird durchgereist, wie nur durchgereist werden kann: auf der Straße, die gefunden zu haben man sich früher immer so freute, vor der Zeit von Navigationsgeräten. Man erkannte die Straße an den ununterbrochenen Rotklinkerfassaden auf beiden Seiten. Ein wenig ungelenk stehen dunkelgrüne Alleebäume verstreut dazwischen, sie können sich freuen, überhaupt mal zu Wort zu kommen, denn die mächtige Architektur und der gewaltige Verkehr schreien lauter. Ob die Planer der Bundesautobahn damals kleine Eichen- und Buchensetzlinge pflanzten – mehr Eiche als Buche, selbstredend?

Und planten die Planer auch Kolonialwarenläden entlang der Zufahrtsstraße, für die Leute hier in Horn? Denn auch an solchen Durchreisestraßen muss doch gegessen und getrunken werden, damals wie heute. Und so stehen wir auf unserer Fahrt nach Dänemark vor dem Laden mit alteingesessenem Schild: „Obst und Gemüsewaren“, steht da drauf.

Obst und Gemüsewaren stehen aber direkt neben uns auf dem Bürgersteig, die Regale und Ladenbesitzer gleich mit. Körbe mit Obst, Dosen mit Obst, Dosen mit Bier, Flaschen mit Malzbier: Aus allen Ecken des Ladens drückt sich sein Inhalt schüchtern vor der roten Backsteinwand rum. Wir kaufen die leeren Knoblauchkörbe, in denen mal Knoblauch aus Spanien verpackt war. Zusammen mit alten Apfelsinen und verstaubtem Malzbier.

In Dänemark sei das Essen doch so teuer, sagt die afghanische Ladenbesitzerin, deren Kinder unsere Körbe und Apfelsinen in Tüten packen. Ein halbes Jahr nur habe man sich hier gehalten. Wir sollen noch nehmen und kaufen! In Dänemark kriegen wir doch nix mehr! (Zumindest nicht mehr zu dem Preis!) Der Sellerie ist gescheitert, die Möhren sind trocken, dem Naschzeug widerstehe ich und den Wein erkenne ich wieder: von Aldi.

Die Knoblauchkörbe aber werden sich als Renner entpuppen: So mediterran und fröhlich geflochten, da vermutet kein Mensch ihre Herkunft aus dem gescheiterten Geschäft einer afghanischen Familie in Hamburg-Horn, auf dem Weg zur Bundesautobahn.

Aus ihren in Buchform versammelten „Hamburger Szenen“ („Hamburg Walking“, Michason & May Verlag 2014, 184 S., 14,90 Euro) liest Rebecca Clare Sanger in der Reihe „Vielversprechende Debüts“ des Literaturzentrums: Sonntag, 16. März, 17 Uhr, Literaturhaus