ARGENTINIENS BEITRAG FÜR EINE ZUKUNFT OHNE STAATSTERRORISMUS
: Der alte Exdiktator muss wieder zittern

Die Aufarbeitung von Militärdiktaturen ist ein mühseliges Geschäft. In Lateinamerika sind die meisten Verantwortlichen für Mord und Folter bis heute straflos geblieben, doch hie und da kommt es nun zumindest in Einzelfällen zu Prozessen. In Argentinien hat jetzt ein Bundesrichter die Begnadigung des Exdiktators Jorge Videla und zweier seiner Minister aufgehoben und damit den Weg zu einem Strafverfahren freigemacht. Entscheidend dabei war die gewandelte Haltung der Exekutive. Noch 1989 und 1990 hatte der damalige Staatschef Carlos Menem die Beschuldigten amnestiert. Jetzt reagierte das Menschenrechtssekretariat des sozialdemokratischen Präsident Néstor Kirchner auf den Druck von unten und machte sich für die Aufhebung der Amnestie stark.

Seit Beginn seiner Amtszeit 2003 hat Kirchner die Allianz mit Menschenrechtsgruppen gesucht, um die juristische Aufarbeitung voranzubringen und den Einfluss der Militärs zurückzudrängen. Im Gegenzug wird der Peronist immer noch von großen Teilen der Linken unterstützt. Leider überträgt sich diese Dynamik des wechselseitigen Interesses kaum auf die Nachbarländer, ganz zu schweigen von zentralamerikanischen Staaten wie Guatemala oder El Salvador. Generell gilt: Wo es Menschenrechtlern gelingt, ihre Forderungen öffentlichkeitswirksam zu artikulieren wie in Chile oder Uruguay, dort gibt es auch – bescheidene – Fortschritte auf politischer und juristischer Ebene. Fehlt dieser Druck wie in Paraguay oder Brasilien, ziehen es Regierungen und Richter vor, die Vergangenheit ruhen zu lassen.

Selbst wenn es in den wenigsten Fällen zu einer angemessenen Bestrafung kommt: Jede Auseinandersetzung über Verbrechen der Vergangenheit hilft bei dem Versuch, Machtmissbrauch heute zurückzudrängen und künftige Schreckensherrschaften – sei es durch Diktatoren oder Todesschwadronen – zu verhindern. Die Vorreiterrolle Argentiniens bei der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte ist begrenzt. Um so wichtiger ist das dennoch Erreichte – als Beitrag für eine Gesellschaft ohne Staatsterrorismus. GERHARD DILGER