Merkel und Wulff – die neue Eintracht

Bislang behandelten die beiden CDU-Politiker sich eher frostig. Doch die „Lebenslügen“-Debatte schweißt zusammen

HANNOVER taz ■ So viel zur Schau gestellte Harmonie zwischen den beiden populärsten CDU-Politikern gab es seit langem nicht mehr: Kanzlerin Angela Merkel und Niedersachsens Regierungschef Christian Wulff himmelten am Wochenende auf einem CDU-Landesparteitag in Braunschweig einander an wie in alten Zeiten.

Die Parteichefin dankte Wulff für seine „vielen guten Ratschläge“. Auf seinen Rat könne sie sich verlassen: „Und das ist keinesfalls selbstverständlich.“ Wulff sah „das Amt der Bundeskanzlerin und Parteivorsitzenden“ bei Merkel in guten Händen. Das wüssten die niedersächsischen Christdemokraten zu schätzen. „Auf Niedersachsen kannst du dich verlassen“, versicherte er. Vor einem guten Jahr war das noch anders. Vor der CDU-Präsidiumssitzung, die Merkel den Weg zu Kandidatur und Kanzlerschaft ebnete, meldete sich Wulff mit einem Nierenleiden krank. Nachdem die große Koalition installiert war, warnte Wulff bald, die Union könne durch die Kompromisse mit der SPD in der Wählergunst bis auf 30 Prozent abrutschen. Sich selbst und den anderen CDU-Ministerpräsidenten wies Wulff die Aufgabe zu, künftig für eigenständiges CDU-Profil zu sorgen.

Auch noch als Merkel Mitte Juli in Wulffs Heimatstadt Osnabrück ihren Antrittsbesuch als Kanzlerin in Niedersachsen absolvierte, gingen beide höflich und korrekt, aber sehr distanziert miteinander um. Bei der Abschlussrede vor den örtlichen Handwerkern mahnte Wulff „wirkliche Reformen“ an.

Ganz anders am Wochenende in Braunschweig, wo Wulff nicht nur sein „politisch und menschlich gutes Verhältnis“ zu Merkel betonte, sondern auch ihre Politik lobte. Merkel habe die Weichen in die richtige Richtung gestellt. Das Wachstum nehme zu und die Maastricht-Kriterien würden erfüllt. Die große Koalition habe in zehn Monaten mehr zugunsten der Wirtschaft beschlossen als Rot-grün während der gesamten Regierungszeit.

Zwischen Merkel und ihm habe es einige konstruktive Gespräche gegeben, sagte Wulff nach dem Parteitag. Eine regelrechte Aussprache sei zwischen beiden aber noch nie erforderlich gewesen.

Bei den niedersächsischen Kommunalwahlen am nächsten Sonntag kann Wulff, der es in Niedersachsen auf sehr viel bessere CDU-Werte als die Kanzlerin im Bund bringt, kaum von dem Schulterschluss mit Merkel profitieren. Zusammengeführt hat die beiden vielmehr die vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers angezettelte Debatte über die Lebenslügen der CDU. Denn die von Rüttgers als „Lebenslügen“ bezeichneten Ansichten, dass Steuer- und Lohnsenkungen Arbeit schaffen würden, sind genau das, was Wulff stets als richtigen Weg verfochten hat. Der Ministerpräsident kritisierte denn auch in Braunschweig „die Diskussion im Sommerloch“. Die CDU habe sich 2003 für eine radikale Vereinfachung des Steuersystems und eine grundlegende Reform der sozialen Sicherungssysteme entschieden. Diese seinerzeit in Leipzig gefassten Beschlüsse seien auch heute noch richtig.

Ähnlich äußerte sich auch Merkel. Die Trends zu mehr Wachstum und Beschäftigung in Deutschland seien noch nicht gesichert, und „deshalb sind weitere Reformen notwendig“, sagte sie. Bei Hartz IV müsse man sich intensiv mit dem Lohnabstandsgebot beschäftigen. Bei der Unternehmensteuerreform wies Merkel Vorschläge des Finanzministers zur Erweiterung der Bemessungsgrundlage zurück. Wulff wurde auf dem Parteitag mit 96,6 Prozent der Delegiertenstimmen als niedersächsischer CDU-Chef wiedergewählt.

JÜRGEN VOGES