LITERATURFESTIVAL
: Poesie fühlen

In Russland reime man noch, sagt die rothaarige Poetin

Endlich ist es geschehen. Mir wurde ein Gedicht gewidmet. Leider war ich nicht die Einzige. Das Gedicht sei allen im Raum gewidmet, sagt der Poet auf der Bühne. Allen, die noch nie das Gefühl erleben durften, wie es ist, wenn jemand für sie ein Gedicht schreibt. Eigentlich sei es gar kein Gedicht, denn es reime sich nicht. Das Publikum verzeiht es ihm. Immerhin versteht man ihn, er slammt auf Deutsch.

Erst danach kommt die Herausforderung: Wörterverdrehen auf Russisch. In Russland reime man noch, sagt die rothaarige Poetin, die als Nächstes slammen soll. Genauso wie es dort noch Kassetten mit Band gebe. Und dann rattert sie schon los, schwenkt ihren Wuschelkopf, hebt die Arme, stampft mit den Füßen. Das Beben geht in die Besuchermenge über, das Applausometer schlägt weit aus. Poesie muss man fühlen, jedenfalls wenn man den Text nicht versteht. Das ist das Prinzip der internationalen Slam Revue. Ich verstehe nur Puschkin.

Die Moderatorin springt mit einer Rose in der Hand auf die Bühne. Sie erzählt von ihrer namenlosen kleinen Katze, die Schnupfen hat. Mitleidiges Raunen. „Ohhh!“ Da schreitet ein österreichischer Dichter mit Hut ein, bricht endlich das „Schweigen der Slammer“, und weiter geht’s. In orangefarbenem Cape humpelt die spätere Siegerin des Abends auf die Bühne, winkt mit ihren Krücken. Ein Stein war ihr im Weg gelegen, sie kurz danach im Krankenhaus. Dennoch liebt sie Berlin. Die weite Reise aus Australien habe sich gelohnt.

Auch er liebt Berlin, der Tscheche. Auch wenn er kein Berliner ist. Dafür habe er zu schwarze Gastarbeiteraugen. Er serviert Gulasch, tschechisch-deutsches Sprachgulasch, in dem auch Wiener Schnitzel vorkommen. Keiner versteht es so richtig, doch allen schmeckt’s. Zum Abschluss ein Rap aus Quebec in der indigenen Sprache Algonkin. Die unbekannten Worte bereiten Gänsehaut. MARINA WETZLMAIER