WIE LAUT DARF RELIGION SEIN?
: Messung gegen Muezzin

VON SUSANNE KNAUL

Um fünf Uhr morgens wird die friedliche Koexistenz in manch einem Jerusalemer Wohnviertel täglich aufs Neue zur Herausforderung. Kaum zwei Minuten lang ruft der Muezzin die frommen Muslime zum Gebet und weckt Juden und Christen gleich mit. Die Anwohner schimpfen, und im Rathaus ringt man um Lösungsmodelle. Erst mal Daten sammeln, riet ein kluger Kopf, anschließend könne der Lärmpegel notfalls technisch auf ein Höchstlimit fixiert werden. Umgerechnet rund 40.000 Euro fließen jetzt in Messgeräte, die über den Lautstärkepegel der Allahu-akbar-Rufe in Ostjerusalem Aufschluss geben sollen.

„Einfach Ekelhaft“ findet das Ala Salman. Der Enddreißiger wohnt in dem arabischen Wohnviertel Beit Safafa, das an das überwiegend jüdische Viertel Katamon und die Siedlung Gilo angrenzt. Wegen „der paar Sekunden jeden Morgen“, sollten sich seine Nachbarn nicht so anstellen. „Wenn hier überhaupt einer unter Lärmbelästigung leidet, dann sind wir das.“ Kein Wochenende in Jerusalem ohne Diskothek, meint Salman. „Bis vier Uhr morgens spielen die da drüben so laute Musik, dass man unmöglich dabei schlafen kann.“

Auch Muchtar Mohammed Alajan zürnt der Stadtverwaltung wegen ihres Plans. „Die muslimischen Gebete gibt es nicht erst seit gestern, sondern seit Gründung des Staates“, sagt er. Das Gebet sei die Wurzel des Islam. Messgeräte aufzustellen und mit Verbot zu drohen, das sei, „als würde ich den Juden sagen, sie sollten am Sabbat keine Kerzen mehr anzünden“. Die Lautstärkemesser schürten den Hass, findet der Gemeindevorsteher, dabei sollte das Rathaus allen, Juden, Muslimen und Christen, Respekt zollen.

Dass es auch anderes ginge, zeigt das Beispiel des Jerusalemer Stadtviertels Issawija. Dort einigten sich die Palästinenser immerhin temporär mit den Siedlern vom French Hill ohne städtisches Zutun. Der jüdische Gemeindevorsteher aus dem Siedlerviertel drohte, noch vor dem Frühgebet israelischen Pop und Jazz durch die Lautsprecher nach Issawija zu schicken, sollten dort nicht die Lautsprecher abgebaut werden, die auf die Siedler gerichtet sind. Muchtar Darwisch Darwisch willigte ein, allerdings nur vorübergehend, und nun soll auch Issawija mit Lärmpegelmessgeräten ausgestattet werden.

Vor knapp drei Jahren beriet die Knesset schon einmal über einen Gesetzentwurf gegen die lästigen Muezzins. Anastasia Michaelis, damals Abgeordnete der rechtsnationalen Israel Beitenu, stützte ihren Reformvorschlag auf Untersuchungen zu Folgeschäden bei dauerhaftem Lärm. Angefangen mit Hörproblemen und Schlaflosigkeit. könne wiederholter Krach zu „sozialer Isolation“ sowie „Persönlichkeits- und Verdauungsstörungen“ führen.

Michaelis rechnete nicht mit dem arabischen Knesset-Abgeordneten Achmad Tibi, der sie daran erinnerte, dass die Araber umgekehrt den Schofar (ein lautes Widderhorn) beim Jom Kippur ertragen müssten und die Sirenen zum Beginn und Ende eines jeden Sabbats. Aus „medizinischer Sicht“, so hielt der studierte Gynäkologe damals fest, seien die „Feuerwerke am Unabhängigkeitstag besonders schädlich für die Atemwege“.