Der Blick aus dem Süden

MITTELMEERSTAATEN Wie sehen unsere Nachbarn auf der anderen Seite des Mittelmeers Europa? Welche konkreten Ansätze der Zusammenarbeit beim Demokratisierungsprozess von unten gibt es?

■ Hamed Abdel-Samad: Politologe und Islamkritiker, beschäftigt sich mit dem Umbruch in Ägypten.

■ Neila Akrimi: Juristin und Politologin, ist spezialisiert auf Stadtentwicklung und Mittelmeerpolitik.

■ Meinolf Spiekermann: ist Experte für Internationale Zusammenarbeit in der Stadtentwicklung bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).

■ Elisabeth Botsch: ist als Studienleiterin der Europäischen Akademie Berlin zuständig für Seminare und Diskussionsveranstaltungen. Sie befasst sich mit: Governance, EU-Erweiterung, Zivilgesellschaft, Geschlechtergerechtigkeit und Antidiskriminierung.

■ Edith Kresta: ist Redakteurin für Reise und Interkulturelles bei der taz und moderiert auf dem taz.lab dieses Panel.

Der Kampf um Stabilität, Wohlstand und Demokratie im islamischen Mittelmeerraum wird langwierig sein. Europa kann und muss dabei helfen. Denn instabil sind nicht nur die südlichen Mittelmeeranrainer. Weil immer mehr Flüchtlinge vor Verfolgung oder aus ökonomischer Not fliehen und an den Küsten Italiens, Spaniens und anderer EU-Länder stranden, wirkt sich diese Instabilität auch auf die nördlichen Anrainer aus, die ohnehin in der Krise stecken. Doch was erwartet man voneinander, und wie sieht die Zusammenarbeit mit Europa konkret aus?

Hamed Abdel-Samad ist ein aufmerksamer Beobachter der Entwicklung in Ägypten und Vermittler zwischen beiden Seiten des Mittelmeers. Als aktiver Unterstützer des Umbruchs in Ägypten reiste er während der Revolution in Ägypten Anfang Februar 2011 in seine Heimat und stellte sich auf die Seite der Protestierenden. Die Absetzung von Präsident Mursi durch das Militär 2013 befürwortete er deutlich. Die Aktion „sei eine Geiselbefreiungsaktion gewesen“, hingegen die vorherige Machtübernahme Mursis ein „Putsch“. Abdel-Samad kennt Europas Ängste genauso gut wie die ägyptischen Erwartungen.

Die Tunesierin Neila Akrimi leitet seit der tunesischen Revolution das International Development Center for the Innovative Local Governance (CILG), ein internationales Entwicklungszentrum für lokale Regierungsführung, das sich auf kommunale Regierungsführung im Nahen Osten und im Nordafrika spezialisiert hat. Ziel kommunaler Entwicklungsarbeit ist die Förderung dezentraler Strukturen – ein Novum nach Jahrzehnten der Diktatur. Der repressive Zentralismus hat vernachlässigte Regionen und entmündigte Bürger hinterlassen. Regionale und kommunale Strukturen aufzubauen ist daher eine Grundvoraussetzung für Demokratisierungsprozesse und Beteiligung. Was kann Tunesien dabei von der EU übernehmen und was nicht?

Europa kann und muss helfen. Denn instabil sind nicht nur die südlichen Mittelmeeranrainer

Die konkrete Zusammenarbeit Deutschlands mit Maghreb und Maschrek im Bereich kommunaler Strukturen kennt Meinolf Spiekermann von der GIZ, das den Demokratieprozess „von unten“ vor allem in Tunesien unterstützt. Seit 2001 hilft er BürgerInnen in Syrien, Tunesien und Marokko bei der Sanierung von Städten und bei der Emanzipation von zentralstaatlicher Bevormundung. Nach einer langen Geschichte des Zentralismus sieht er in der Neugestaltung des Verhältnisses von Zivilgesellschaft und Kommunalverwaltungen nichts weniger als einen „politischen Kulturwandel“ und sagt: „Die Leute in den Kommunalverwaltungen müssen nach der Revolution in Tunesien die Einwohner erstmals als Bürger sehen. Und die Menschen haben erstmals die Möglichkeit, sich als Bürger zu engagieren, Rechte wahrzunehmen, Politik mitzugestalten. Es geht um aktive Beteiligung und Verantwortung.“

Elisabeth Botsch von der Europäischen Akademie Berlin leitet das Projekt „Baladiya – neue Wege in der Stadtentwicklung“. Dazu lädt sie Stadtplaner und Verwalter aus Tunesien und Marokko zu einem mehrwöchigen Kompetenz-Seminar nach Berlin ein, wo sie untereinander und mit deutschen Stadtentwicklungsexperten diskutieren.

■ Seit heute ist das taz.lab-Programm im Netz zu finden: tazlab.de/programm. Es ist mit gegen 200 ReferentInnen und über 60 Veranstaltungen üppig geworden. Dazu gibt es ein Zusatzprogramm mit Filmen, Cryptoparty und Whiskyverkostung. Wer also noch kein Ticket hat, sollte sich spätestens jetzt eins kaufen (im taz-Café oder shop.taz.de).

Auf lange Sicht kann Europa gar nicht anders, als jene gemischten Gesellschaften des alten Mittelmeers zu fördern, auf die man historisch so stolz ist. Bei aller Differenz gibt es dringende Fragen, die von allen mediterranen Nationen und der EU gemeinsam gestellt werden, insbesondere was Migration und die Förderung des Handels zwischen EU und Nicht-EU-Ländern betrifft. EDITH KRESTA