DUMME GEFÄHRDEN UNSERE ZUKUNFT. SORGEN MACHT DIE MITTE
: Hilfe, wir sterben aus!

VON ULRICH GUTMAIR

Der Kleinbürger ist ein seltsames Wesen. Er ist eine wahrhaft hybride Lebensform. Weil er den alten Lebenswelten der Arbeiter und der Bauern noch nicht ganz fern ist, versteht er, was es heißt, sein Glück auf eigener Hände und Hirne Arbeit zu erbauen. Zugleich richten sich seine Aspirationen auf den Lebensstil des untergegangenen Bürgertums. Der Kleinbürger hat deswegen wie kein anderer das Potenzial, sich selbst zu transzendieren. Es fällt ihm leicht, den Imperativ des deutschen Idealismus zu verinnerlichen: Bildung ist alles! Und was ist Bildung? Ein Akt der Selbsterfindung.

Aber auch Bildung schützt vor Dummheit nicht. Da hat der Dr. Sarrazin ganz recht. Vor allem, wenn man Bildung fetischistisch als Ding betrachtet, das einem die zuständigen Institutionen überreichen, auf dass man sie fortan besitze. Wie frech und dumm so manches Exemplar des deutschen Kleinbürgertums ist, kann man in Mitte täglich beobachten. Sowohl im Norden, wo ich wohne, als auch im Süden, wo ich arbeite. Sie werden sehen, dass es sich dabei nicht um bedauerliche Einzelfälle, sondern um einen für Deutschland gefährlichen Trend handelt. Aus einer Fülle von Indizien werde ich zwei Phänomene herausgreifen. Zur Warnung sei jedoch ein weiteres kluges Wort des Dr. Sarrazin vorausgeschickt: „Freude machen diese Ergebnisse wahrlich nicht.“

Erstens: Diese Leute fahren nur noch Geländewagen. Das sind für den Stadtverkehr überdimensionierte Geräte, die vor allem der Repräsentation ökonomischer Potenz und der Einschüchterung anderer Verkehrsteilnehmer dienen. Letztere wird auch notwendig, wenn man die Regeln des Verkehrs nicht beherrscht. Andererseits: Warum sollte jemand, der einen Klimakiller führt, eine Richtungsänderung durch Blinken anzeigen? Und warum soll Übermenschen die Grundregel „rechts vor links“ gelten, wo sie doch den größeren haben?

Zugegeben, in der Geländewagenfrage ist Dummheit von Prätention und Verkommenheit nur schwer zu trennen. Das zweite Indiz der Verblödung aber erzählt uns von Dummheit im engeren Sinne: Die deutschen Kleinbürger, die den Kernbestand unseres Staatsvolks ausmachen, wurden durch natürliche Auslese zwar mit hochwertigen Intelligenzgenen ausgestattet, sind aber vielfach der deutschen Sprache nicht mächtig. Was da den ganzen Tag „im Endeffekt“ so schwadroniert wird, was da „zeitnah“ und „vor Ort“ so alles „Sinn macht“ – das hat mit der Sprache Eckharts, Schillers und Zaimoglus rein gar nichts mehr zu tun. Wird im Managementseminar aber bestens verstanden. Die Facebookfreunde reden auch so. Für einen Job „in den Medien“ reicht’s eh.

Um diese „Fäulnisprozesse im Innern der Gesellschaft“ (Dr. Sarrazin) zu erkennen, braucht es kein Mikroskop. Gerade weil der autochthone deutsche Kleinbürger genau weiß, wie viele faule Äpfel von seinem Stamme fallen, erscheint ihm der Status quo verführerisch. Die Zulassung zu Bildungsinstitutionen und der berufliche Erfolg sollen ruhig weiterhin von der sozialen Stellung der Kandidaten, aber bitte bloß nicht von ihren Talenten und Leistungen abhängig sein. So was zu fordern, ist selbstverständlich unmoralisch, das aber sind deutsche Kleinbürger qua definitionem niemals. Was nun wiederum die Beliebtheit der Dr. Sarrazin’schen Vererbungslehre erklärt. Sie verspricht den geistig Trägen eine Lösung des Dilemmas, und wer mag es ihnen verdenken: Die andern sind die Dummen. Mutter Natur hat es so gewollt.

Große Teile des deutschen Kleinbürgertums weigern sich trotzdem standhaft, ihr fortschrittliches sozialdemokratisches bis linksliberales Bewusstsein gegen rassistisch verbrämten Egoismus einzutauschen. Recht so! Wer diese seine eigene Klasse nicht zu überwinden trachtet, wer nicht nach dem Guten, Wahren, Schönen strebt, der ist ja auch kein ordentlicher Kleinbürger. Ich befürchte bloß, wir sterben langsam aus.