Die Bombe tickt falsch

Foltern ist zwar völkerrechtlich geächtet und doch Praxis – auch in Rechtsstaaten. „Rückkehr der Folter“ kritisiert diesen aktuellen Trend

„Frankfurt ist nicht Guantánamo“, titelte die Zeit nach dem Urteil über den Frankfurter Polizeivizepräsidenten Wolfgang Daschner im Dezember 2004. Doch den Zusammenhang zwischen Daschners Versuch, das Leben eines Kindes durch Folterandrohung zu retten, und der routinemäßigen Folter von Gefangenen als integraler Methode des „Kriegs gegen den Terror“ hatte die Debatte um den Fall Daschner schnell hergestellt.

Politiker, Juristen, Journalisten bemühten den Fall einer von Terroristen im Flugzeug versteckten Bombe. Mit der ticking bomb materialisierte sich ein bis 9/11 irrelevantes Szenario zum Politikum. Im „Luftsicherheitsgesetz“ gewann es vorübergehend sogar Gesetzeskraft. Daschner selbst hob seinen Fall auf die rechtsstaatliche Ebene, als er eine gesetzliche Regelung forderte: In Extremfällen wie seinem müsse Folter legal sein. Anfänglich erhielt er dafür reichlich Zustimmung.

Es ist das Verdienst des von Gerhard Beestermöller und Hauke Brunkhorst herausgegebenen Bands, diese Zusammenhänge deutlich zu machen. Und dann klingt der Titel „Rückkehr der Folter“ weniger marktschreierisch, als er zunächst anmutet. Folter ist keineswegs ein nur kulturhistorisch abgelagerter Gegenstand. Während sich die Folter in der Neuzeit vom juristisch verregelten Norminstrument zum völkerrechtlich geächteten Tabu wandelte, bestand und besteht ihre Praxis fort. Es wandeln sich nur die Methoden.

Die beunruhigende Erkenntnis dieses Buches ist: Letztlich halten sich auch Rechtsstaaten die Option der Folter offen – erst im leisen, dann im lauten Denken und bei entsprechend wahrgenommener Bedrohung der Sicherheit auch in der Praxis. Diese suchen die Verantwortlichen dann mit Euphemismen und Erlassen „rechtsstaatlich“ einzuhegen. Das System Guantánamo bietet ein hervorragendes Anschauungsbeispiel dafür.

Die 13 Beiträge – überwiegend von Ethikern und Juristen verfasst – hätten eine ordnende und einordnende Hand gut vertragen. Ihre thematische Abgrenzung gegeneinander ist aus den Titeln der Beiträge schwer ersichtlich. Im Verlauf der Lektüre wiederholt sich so einiges. Kein Wunder, denn alle beziehen sich auf den oben skizzierten aktuellen Kontext. Auch ein wenig mehr Kontroverse hätte gutgetan. Aber die, die das absolute Folterverbot relativieren und mithin abschaffen wollen, scheuen meist noch die offene Kontroverse.

Dennoch ist in der bundesrepublikanischen Debatte einiges in Bewegung – und dazu liefert der Band eine Gesamtschau. Subkutan, aber wirksam. So hat eine Reihe von juristischen Neukommentierungen, auch im bedeutendsten Grundgesetzkommentar, unter explizitem Bezug auf Daschner und Terrorismus, sowohl den absoluten Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 Grundgesetz wie das absolute Folterverbot in Frage gestellt – und damit zwei bisherige Unantastbarkeiten (deutscher) Rechtsstaatlichkeit. Die Debatte über Folter ist, das macht dieser Band deutlich, eine Debatte über Demokratie und Rechtsstaat. Und wenn das Austarieren von Freiheit und Sicherheit schon in ruhigeren Zeiten zu den schwierigen Aufgaben eines Rechtsstaats gehört, dann im fünften Jahr des „War on Terror“ erst recht. DAWID DANILO BARTELT

Gerhard Beestermöller, Hauke Brunkhorst (Hg.): „Rückkehr der Folter. Der Rechtsstaat im Zwielicht?“ Beck’sche Reihe, München 2006, 12,90 Euro