herr tietz macht einen weiten einwurf
: Brodelndes Pferdeblut in der Lakritze

FRITZ TIETZ hofft: dass seine Töchter in der Schule besser werden und sich kein Pferd wünschen, also: weniger kosten

Cynthia ist, wie sie sagt, „schier verrückt nach Pferden“, und es klingt sehr erwachsen, wie sie das sagt. Dabei ist sie erst neun. Cynthia ist die beste Freundin meiner Tochter Johanna (fast neun), und als sie neulich mal wieder bei uns war, sagte sie das mit ihrer Pferdeverrücktheit. Und dass sie wegen der „nie, nie, nie mehr Lakritze essen“ will, obwohl sie die eigentlich sehr mag. Aber seit sie weiß, dass in Lakritze Pferdeblut ist, rührt sie „das Zeug“ nicht mehr an. Keine Ahnung, wer Cynthia solchen Mist erzählt. Sie ist ein bisschen übergewichtig. Vermutlich hat ihr deshalb jemand dieses Ammenmärchen aufgetischt. Ich versicherte ihr, dass das mit dem Pferdeblut Quatsch sei. Sie glaubte mir aber nicht.

Ganz so schlimm ist es bei Johanna nicht. Ihr Lieblingstier ist ihre Katze Minka. Aber gleich danach kommen bei ihr ebenfalls die Pferde. Eine Liebe, die sie einmal wöchentlich beim Voltigieren und der anschließenden Pflege der „echt süßen“ Voltigierpferde ausleben kann. Auf Lakritze verzichtet sie deswegen aber genauso wenig wie Charlotte, meine dreizehnjährige Tochter, die ebenfalls, und das schon seit Jahren, einen starken Hang zum wiehernden Geschlecht zeigt. Kaum ein Tag, an dem sie nicht in den Stall eilt, um hier diverse Klepper zu versorgen und diese zu reiten. Neuerdings nimmt sie auch an Springturnieren teil.

Ich gebe zu, dass ich die Pferdeliebe meiner Töchter anfangs nach Kräften zu unterdrücken versuchte. Man sehe mir das bitte nach. Aber als eher einkommensschwacher Vater zweier Mädchen, dazu in einer Gegend zu Hause, in der Pferde nicht gerade die kleinste Bevölkerungsgruppe stellen, schien es mir doch dringend angezeigt, der Brut möglichst früh alle pferdesportlichen Flausen auszutreiben. Und sie mit sanftem Druck für entschieden billigere Steckenpferde zu begeistern: fürs Wandern etwa, fürs Bäumeklettern oder fürs Schwimmen – möglichst in natürlichen Gewässern, versteht sich, denn bei den Schwimmbadpreisen heutzutage kann man auch gleich ein Pferd samt Zaum- und Sattelzeug kaufen. Das nimmt sich nicht viel. Und mein Plan schien anfangs aufzugehen – auch wenn es mir bei der Älteren lieber gewesen wäre, sie hätte sich für etwas Sportlicheres als Spielenachmittag bei Pastor Kuhlmann entschieden, aber bitte schön. Die hierfür anfallenden Kosten beschränkten sich auf die für den Autotransfer zum Gemeindehaus.

Doch wahre Pferdeliebe kann auf Dauer keine noch so ausgebuffte Verhinderungsstrategie stoppen. Und wenn dann noch der nächste Reiterhof keine zehn Fahrradminuten entfernt liegt … zu willkommen sind dort kleine Mädchen, die beim Boxenausmisten, Stallgassefegen oder Pferdefüttern helfen wollen. Zur Belohnung dürfen sie dann die Reithalle abäppeln (also die Pferdeäpfel vom Geläuf klauben) oder die Hufe ihrer Lieblinge auskratzen. Und irgendwann mal selbst eine Runde reiten. Dann ist sowieso alles zu spät und wir Eltern können nichts mehr tun – außer uns um eine Reitunfallversicherung für die Tochter zu kümmern.

Abgesehen von den jährlich neu anzuschaffenden Sturzhelmen, Reitjacken, Lederstiefeln und Sporen sind das zum Glück die einzigen Kosten, die wir für Charlottes Pferdeleidenschaft aufbringen müssen. Gut, dazu kommen noch die Startgelder für die jedes Wochenende stattfindenden Turniere samt den dort anfallenden Ausgaben für mindestens drei Crêpes, zwei Portionen Pommes und Cola bis zum Abwinken. Die völlig überteuerten Fotos vom Turnierfotografen nicht zu vergessen. Über die Kosten, die uns aufgrund der immer deutlicher nachlassenden schulischen Leistungen unserer Tochter noch entstehen werden, mag ich noch gar nicht nachdenken. Aber was hilft’s? Wenn Charlotte nicht jede freie Minute im Stall hülfe, müssten wir ihr auch noch das Springtraining bezahlen.

Johannas Voltigierstunden zahlt Onkel Christoph. Ansonsten halten sich hier die Kosten einigermaßen in Grenzen. Was sich aber bald ändern könnte, wie Johanna neulich andeutete: „Wenn Cynthia zehn ist, kriegt sie ein Pferd. Wenn ich zehn werde, will ich auch eins.“