Strom von der Müllkippe

Eine neue Verbrennungstechnik kann aus ungenutzten Deponiegasen Strom erzeugen. Der vom Essener Gaswärme-Institut konstruierte Brenner eignet sich aber auch zur Stromgewinnung aus Kläranlagen, Bergwerken oder in der Landwirtschaft

Das Gas aus Deponien reicht noch 20 Jahre zur Stromerzeugung

VON TORSTEN SCHÄFER

Die allerwenigsten Menschen dürften Müllkippen faszinierend finden. Für den Ingenieur Ahmad Al-Halbouni ist das anders. Der Wissenschaftler vom Essener Gaswärme-Institut hat sich Gedanken darüber gemacht, welche Prozesse in Müllbergen ablaufen und wie sie sich für die Energiegewinnung nutzen lassen. In einer Abfallhalde brodelt es, weil der Müll gärt. Dabei werden Gase freigesetzt, die das brennbare Methan enthalten. Bei einem Methananteil von mehr als 35 Prozent lassen sich Deponiegase in Motoren verbrennen. „In Kombination mit einem Blockheizkraftwerk kann Strom produziert werden. Und die Abwärme wird zum Heizen genutzt,“ erklärt Al-Halbouni.

Auf vielen deutschen Deponien stehen Blockheizkraftwerke, die mit Müllgas angetrieben werden. In unterirdischen Schächten wird das Gas gesammelt und dann zur Verbrennung in das Kraftwerk abgeführt. Viele solcher Gasspeicher durchziehen das Areal der Essener Deponie Emscherbruch, die zu den größten Müllhalden Deutschlands gehört. „Aus Deponiegas gewinnen wir Strom und Wärme für unsere Gebäude. Überschüsse speisen wir ins Netz ein“, sagt Hermann Melchior, zuständig für die Anlagentechnik der Essener Deponie. Jährlich wird hier aus Müllgas eine elektrische Leistung gewonnen, mit der sich rund 4.000 Haushalte versorgen lassen. Künftig wird jedoch immer weniger Elektrizität erzeugt werden können, da kein weiterer Hausmüll mehr gelagert werden darf, aus dem der Brennstoff Methan entsteht. Denn seit Juni 2005 ist in Deutschland die Einlagerung von Hausmüll verboten – der Abfall soll nun in erster Linie verbrannt werden.

Laut Umweltbundesamt wurden deswegen schon 200 Deponien stillgelegt. Für diese geschlossenen Deponien interessiert sich Ahmad Al-Halbouni. „Da hier kein Müll nachkommt, sinkt der Methananteil der Deponiegase ab. Es entstehen so genannte Schwachgase, die herkömmliche Motoren nicht mehr verbrennen“, erklärt der Ingenieur. Diese Problematik hat der Forscher zusammen mit der Uni Bochum gelöst: Die Wissenschaftler haben einen Brenner für Gasturbinen entwickelt, der Schwachgase mit Methananteilen von unter 15 Prozent verbrennt. „So können wir auch aus den Gasen der geschlossenen Halden in den nächsten 20 Jahren noch Strom erzeugen,“ sagt Al-Halbouni. Auch der Umwelteffekt ist beachtlich, denn eine Tonne Methan entspricht nach dem Kyoto-Protokoll 21 Tonnen Kohlendioxid.

Mit dem neuen Brenner können ungenutzte Gaspotenziale neu erschlossen werden: Die Schwachgase wurden auf den Deponien bisher abgefackelt. Nun lassen sich auch diese minderwertigen Methangase für die Elektrizitätsproduktion nutzen. „Die Entwicklung kann einen kleinen Beitrag zur Lösung der Energiekrise leisten“, sagt Viktor Scherer, Inhaber des Lehrstuhls für Energieanlagen und Energieprozesstechnik an der Universität Bochum. Das Essener Gas-Wärme- Institut hat ausgerechnet, dass sich mit der Verbrennung von Schwachgasen in Deutschland eine zusätzliche elektrische Leistung von rund 80.000 Kilowatt erzeugen lassen. Dies ist genug, um den Elektrizitätsbedarf von rund 200.000 Haushalten zu decken.

In dem neuen Essener Brenner können Schwachgase überhaupt nur verbrannt werden, weil ein komplexes System von Bohrlöchern in der Brennkammer die richtige Luft-Gas-Mischung gewährleistet. Bei gängigen Brennern wird das Gas sofort mit der gesamten Luft verbrannt. Da die Luft hier aber nacheinander in die Brennkammer strömt, ist der Verbrennungsprozess in mehrere Stufen unterteilt. Das erleichtert die Zündung der methanarmen Gase.

Energieunternehmen, Stadtwerke und Gasgerätehersteller fördern die Brenner-Forschung mit 600.000 Euro. Letzte Tests sollen im Herbst laufen. Danach kann der Brenner eingesetzt werden. Mit der Verbrennung von Deponiegasen ist das Potenzial der Brennertechnik aber noch nicht ausgeschöpft: „Einsatzmöglichkeiten bieten sich überall dort an, wo Schwachgase austreten,“ erklärt Scherer. Das ist in Kläranlagen und in Bergwerken der Fall, wo Grubengas entweicht, das bereits für die Strom- und Wärmeproduktion verwendet wird. In der Landwirtschaft liegen aber die größten Möglichkeiten für die Verbrennung von Schwachgasen.

“Mit unserer Brennertechnik erschließen sich hier neue Potenziale,“ erläutert Al-Halbouni. Bislang entweicht eine Menge Methan ungenutzt aus Misthaufen oder Sickergruben. Biogasanlagen könnten das Gas aber auffangen und mit Hilfe der neuen Brennertechnik für die Strom- und Wärmeproduktion nutzen. Es gibt immer mehr Biogasanlagen in Deutschland, denn seit 2004 wird die Einspeisung von Biogas-Strom stärker als bisher gefördert. „In Deutschland erzeugen heute 2.700 Anlagen eine elektrische Leistung von 650 Megawatt,“ sagt Andrea Horbelt, Sprecherin des Fachverbandes Biogas. Das entspricht der halben Leistung eines Atomkraftwerks. Nach Schätzungen des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt und Energie ließe sich mittelfristig bis zu einem Fünftel des deutschen Stromverbrauchs mit Biogasanlagen abdecken.