Ich wünsch mir einen Russen

Sehnsucht nach Seele: Auf der Suche nach dem verlorenen Zechgenossen

Jaja, würde ich dann sagen, Verwandtschaft kann man sich nicht aussuchen

So gern hätte ich einen Russen zum Freund. Wir würden uns selbstverständlich in einer Kneipe begegnen, beide dabei, akute Lebenskrisen mittels alkoholischer Getränke zu meistern. Er spräche dem Wodka zu, ich dem Whiskey. Wir kämen ins Gespräch über die Charakteristika dieser Getränke, ihre Beschaffungswege, Nebenwirkungen, Kosenamen. Keine Sprachprobleme dabei, Lallen is a universal language. Wir lüden einander gegenseitig ein, bis in die frühen Morgenstunden, und sprächen über James Bond und Abramowitsch und Putin und Eisenstein und Eisen bricht, und er würde mir zeigen, wie mein Name auf Kyrillisch geschrieben wird, bis die anämische Barfrau vernehmlich die Gläser ins Regal und die Stühle hochstellt und sich unsere Wege trennen müssen. Vorher gehen wir aber noch Fisch frühstücken.

Der Russe würde Juri heißen oder Jewgenij oder Alexej und hätte einen ganz ausgefallenen Beruf, Action Painting oder Bildhauer, der sehr viel mit Lego arbeitet. Wir würden uns einige Wochen nicht sehen, in der Zwischenzeit könnte ich auf jeder Party herumerzählen, dass ich da neulich bei einem ganz schweren Absturz einen interessanten Typen kennengelernt hätte. Und der sei Russe und komme übrigens aus Tomsk oder Omsk oder Nischni Nowgorod, wäre jetzt aber schon seit vier Jahren in Berlin.

Später würden der Russe und ich uns dann rein zufällig über den Weg laufen. Bei einer russischen Vernissage oder im Supermarkt vor dem Regal mit Russisch Brot würden wir uns treffen. Er würde mir erzählen, dass er jetzt einen Animationsfilm dreht, in dem Matroschka-Puppen miteinander lesbischen Sex hätten, und ob ich mit ihm in eine Kneipe gehen wolle, in der es den besten Wodka von ganz Berlin gibt. Selbstverständlich käme ich mit und würde alles über Wodka lernen. Dass man das handliche Halbliterfläschchen auch „Troika“ nennt, weil drei Leute sich gut davon nähren können, zwei aber auch. Und dass man frisches Graubrot dazu essen soll, weil man dann nicht betrunken wird. Beim nächsten Mal würde ich dann das beste Graubrot der Stadt besorgen, und wir würden jeder ein paar Freunde einladen, und er würde hausgebrannten Wodka aus Omsk oder Tomsk oder Nischni Nowgorod spendieren. Ich würde ein paar meiner schon leicht angesäuerten Freunde einladen, die meinen russischen Bekannten endlich mal kennenlernen wollen. Und sie wären begeistert und würden mir neidisch gratulieren. Ein paar Brocken Russisch würde ich auch bald können und sie gelegentlich ins Gespräch einfließen lassen. Und Dostojewski – „Dastajewski“, wie der Kenner sagt – würde ich endlich mal lesen, weil mein russischer Freund sagt, er müsse da immer weinen. Und ich würde dauernd im Schach verlieren.

Eines Tages käme dann der Cousin von meinem Russen aus Moskau zu Besuch. Der wäre dann recht mürrisch und kurz angebunden und mein Freund wäre ein bisschen verschämt, wenn er mir erzählen würde, dass sein Cousin leider ein paar nicht ganz legale Sachen machen würde und übrigens geschäftlich hier wäre und dauernd ins Bordell gehen wolle. Jaja, würde ich dann sagen, Verwandtschaft kann man sich nicht aussuchen, und in den Puffs von Berlin hat sich schon mancher brave Mann um den Verstand gepimpert. Und wir würden einander umarmen und froh sein, dass wir in dieser vermaledeiten Steinwüste eine verwandte Seele gefunden hätten. Irgendwann würde der Cousin dann wieder abreisen mit einem dicken Veilchen, zu dem er nichts sagen wollen würde und zu dem ich auch keine Fragen stellte, obwohl wir zusammen am letzten Abend ein paar Troikas verarbeiten. Dann würde sich der Russe in meine beste Freundin, Kumpeline aus alten Tagen, verlieben und sie sich in ihn. Und ich wäre ganz gerührt, dass ich sie zusammengebracht hätte, obwohl ich vor langer Zeit auch mal richtig schwer in sie verknallt war. Und dann würden wir zusammen eine Woche nach Moskau fahren, wo mein Russe tausend Leute kennt, und wir würden auch das Grab von seinem Cousin dort besuchen und die Trauer tragende Tante in ihrer winzig kleinen Wohnung. Und wir wären alle sehr ergriffen und würden uns aber trotzdem volle Kanne in das unglaubliche Moskauer Nachtleben stürzen und Drogen ausprobieren, die nur russische Namen haben. Ach, wär das toll.

Leider kenne ich keinen Russen, nicht einen einzigen, klitzekleinen Russen, nicht einmal Wladimir Kaminer kenne ich. Und das Bild, das ich mir von diesen Menschen mache, ist vermutlich sehr eindimensional und wird der Komplexität wirklicher Russen in keiner Weise gerecht. Vielleicht sollte ich einen Russischkurs belegen, aber da treffe ich nur lauter andere Leute, die gern mal einen Russen kennenlernen würden, mit dem sie ihre westlichen Verkrustungen aufbrechen können und der ihnen zeigt, wie groß die Welt in Wirklichkeit ist und wie gut es uns geht und mit dem sie ein bisschen angeben können. Solche Leute kann ich überhaupt nicht leiden, und mein Russe übrigens auch nicht. ROB ALEF