Todesschwadrone, Drogenbarone

Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe sieht sich genötigt, stärker gegen die rechten Paramilitärs vorzugehen, und gerät dabei in ein Loyalitätsproblem mit den USA

PORTO ALEGRE taz ■ Kolumbiens Paramilitärs haben offenbar den Bogen überspannt. Vorgestern erließ die Generalstaatsanwaltschaft in Bogotá einen Haftbefehl gegen José Vicente Castaño. Der Milizionär soll demnach im April 2004 den Mord an seinem Bruder Carlos angeordnet haben, einem Mitbegründer der „Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens“ (AUC). Die AUC ist der 1997 gegründete Dachverband der paramilitärischen Einheiten, die seit den 60er-Jahren auf Betreiben der Großgrundbesitzer im mehr oder weniger offenen Zusammenspiel mit dem Militär die linke Guerilla bekämpfte und dabei unzählige Massaker an der ländlichen Bevölkerung Kolumbiens beging. Bis heute ist Carlos Castaño spurlos verschwunden. Offenbar wurde seine Leiche ebenso wie die seiner Leibwächter verbrannt.

Die Regierung des gerade wiedergewählten Präsidenten Álvaro Uribe, der schon seit seiner Zeit als Gouverneur den Paramilitärs nahe stand und seit 2002 versucht, sie durch großzügige Angebote aus der Illegalität zu führen und ihre strafrechtliche Verfolgung zu umgehen, gerät immer mehr unter Druck – nicht zuletzt vonseiten der USA. Denn die Regierung in Washington finanziert seit inzwischen sechs Jahren mit bislang 4,7 Milliarden US-Dollar den „Antidrogenkrieg“ in Kolumbien mit, und es wird immer offensichtlicher, wie eng die Paramilitärs mit dem Drogengeschäft verbandelt sind. Weder die Koka-Anbauflächen noch die Kokainlieferungen gen Norden haben sich nennenswert verringert. Viele „Narcos“, Drogenbarone, die zum Führungspersonal der Todesschwadronen gehören, protzten zuletzt mit ihren Reichtümern wie vor 20 Jahren die Mitglieder des legendären Medellín-Kartells.

Über 31.000 rechtsextreme Paramilitärs haben nach Regierungsangaben seit 2003 die Waffen niedergelegt. Doch dem Frieden ist Kolumbien nicht nähergekommen, und auch die Massaker haben nicht aufgehört. Seit dem Waffenstillstand im Dezember 2002 hätten die Todesschwadronen über 3.000 Menschen ermordet, sagt der Menschenrechtler Alirio Uribe vom renommierten José-Alvear-Restrepo-Anwaltskollektiv. Nun bilde sich eine dritte „Para“-Generation heraus, analysiert Germán Espejo vom Forschungsinstitut „Sicherheit und Demokratie“. Und die liberale Sonntagszeitung El Espectador stellte jüngst fest, die Paramilitärs hätten „ihre politische, wirtschaftliche und soziale Macht gefestigt, vor allem auf lokaler Ebene“.

Durch das im Juli 2005 verabschiedete „Gesetz über Gerechtigkeit und Frieden“ wollte die Regierung den Obermilizionären symbolische Haftstrafen und ihre illegal erworbenen Vermögen garantieren, doch vor drei Monaten kassierte das Verfassungsgericht die umstrittensten Passagen. Daraufhin sollten die Para-Bosse per Dekret beruhigt werden. Die darin geplanten De-facto-Begnadigungen störten die US-Regierung, die schon länger auf die Auslieferung von neun besonders notorischen „Narcoparas“ pocht. Nichts fürchten diese mehr als einen Prozess in den USA.

Vor einem Besuch der Chefin der US-Drogenbehörde DEA in Bogotá drohte Álvaro Uribe den führenden Paramilitärs plötzlich mit Auslieferung – falls sie sich nicht zu den Konditionen des „Gesetzes über Gerechtigkeit und Frieden“ den Behörden stellten. Tage später ließ er 14 von ihnen festnehmen, „um die nationale und internationale Glaubwürdigkeit“ des Demobilisierungsprozesses zu erhöhen. Andere wollen sich erst stellen, sobald das Präsidentendekret vorliegt. Bislang sind nicht einmal die Gefängnisse gebaut, in denen die Paras eine Zeit lang residieren sollen.

Zudem machte Uribe einen symbolträchtigen Rückzieher: Er ließ den Haft- und Auslieferungsbefehl gegen Juan Carlos Sierra, einen Kompagnon des Warlords Salvatore Mancuso, aufheben. Noch letztes Jahr hatte der Staatschef Sierra als Drogenhändler bezeichnet und ihm den begehrten Status als Paramilitär verweigert. GERHARD DILGER