Was Affen denken

GRUNDLAGENFORSCHUNG Die meisten Tierversuche verfolgen keinen konkreten Zweck. Sind sie sinnlos?

BERLIN taz | Künstlich simulierte Herzinfarkte bei Hunden, Katzen, die wochenlang Flackerlicht ausgesetzt sind, Elektroschock-Training für Ratten, Tumore in Mäusen und Kreuzbandoperationen an Schafen – der größte Teil der in Deutschland durchgeführten Tierversuche dient der „biologischen Grundlagenforschung“. Dabei handelt es sich um Forschung zum Zweck des Erkenntnisgewinns, ohne dass ein Anwendungsziel gegeben sein muss.

Die Experimente untersuchen zum Beispiel die Funktionsweise von Organen, die Wirkung verschiedener Substanzen oder die Folgen bestimmter Eingriffe in den tierischen Organismus. In der Hirnforschung werden außerdem Wahrnehmung, Lernfähigkeit oder Angstreaktionen verschiedener Tiere studiert. Im Rahmen der Grundlagenforschung sollen auch Ursachen menschlicher Erkrankungen sowie Therapiemöglichkeiten erforscht werden. Zu diesem Zweck werden Tiere künstlich krank gemacht, etwa durch entsprechende Erreger mit Infektionskrankheiten wie Aids oder Malaria infiziert. In der Krebsforschung werden künstlich Tumore in Tieren erzeugt. Häufig verwendet man auch sogenannte transgene Tiere, bei denen das Erbgut so verändert wurde, dass sie zum Beispiel an Diabetes oder Fettleibigkeit leiden.

„In der Grundlagenforschung findet im Grunde alles statt“, sagt Silke Bitz, wissenschaftliche Mitarbeiterin von der Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche. „Da werden Fragen gestellt wie: Was passiert, wenn man einem Goldfisch die Augen entfernt?“ Das seien Experimente ohne jeden Nutzen für den Menschen.

In den letzten Jahren gerieten insbesondere Affenversuche der Universität Bremen in die Kritik. Bitz beschreibt diese Experimente so: „Dabei werden die Affen fest fixiert, durch Flüssigkeitsentzug zur Kooperation gezwungen, ihnen wird der Kopf aufgebohrt, und dann wird untersucht, was im Affenhirn passiert, wenn dem Affen bestimmte Bilder gezeigt werden oder er Aufgaben am Computer ausführen muss.“

Auch die Experimente, die dem besseren Verständnis menschlicher Krankheiten dienen, hält Bitz für überflüssig: „Der künstlich in Tieren erzeugte Krebs ist schon längst heilbar. Aber in Bezug auf den menschlichen Krebs hat diese Forschung nicht weitergeholfen. Da tappt man noch genauso im Dunkeln.“ Bitz plädiert für ein grundsätzliches Umdenken. Anstelle „sinnloser“ und „grausamer“ Tierversuche bedürfe es einer intelligenten Forschung, die sich direkt am Menschen orientiere und dabei die Möglichkeiten von Computersimulation und Verfahren mit menschlichen Zellmodellen ausnutze.

Die Befürworter von Tierversuchen halten deren Ergebnisse dagegen sowohl für relevant für den Menschen als auch für unabdingbar für den wissenschaftlichen Fortschritt. So verweist das Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen auf Medikamente und Behandlungsmethoden, die mithilfe der Forschung an Tieren entwickelt worden sind. In einer Stellungnahme listet das Institut dazu folgende Dinge auf: Immunisierungen gegen Polio, Diphtherie, Röteln und Hepatitis, Arzneimittel gegen Asthma und Epilepsie sowie die Methoden der Bluttransfusion und das Operieren am offenen Herzen, das von Forschern an Hunden, Katzen und Kälbern geübt wurde.

„Ein Großteil der biomedizinischen Grundlagenforschung erfolgt heute mit tierversuchsfreien Methoden“, heißt es in dem Papier. Einige wichtige Fragen unserer Zeit ließen sich aber nur mithilfe von Tierversuchen beantworten. Die aktuelle Forschung an Tieren gebe zahlreichen Menschen Hoffnung, die an Krankheiten wie Krebs, Diabetes, Aids, Mukoviszidose, Parkinson oder Alzheimer litten.

Ebenfalls umstritten ist die Frage der ethischen Vertretbarkeit der Versuche. Die Relevanz dieser Frage für die Genehmigung von Experimenten ist unklar. In Deutschland müssen alle Versuche an Tieren von sogenannten Ethikkommissionen genehmigt werden. „Es werden aber kaum Versuche abgelehnt, obwohl oft jede ethische Rechtfertigung fehlt“, sagt Silke Bitz. Im ursprünglichen Entwurf der neuen europäischen Richtlinie sei eine ethische Überprüfung vorgesehen gewesen. In der vom Europäischen Parlament beschlossenen Version ist diese Vorgabe weggefallen.

FRIEDERIKE SCHMITZ