Investigative Amateure

LOKALJOURNALISMUS Eine kleine Gratiszeitung enthüllte die strukturelle Korruption im katalanischen Gesundheitssektor und musste deshalb vor Gericht. Sie hat gesiegt

VON RALF HUTTER

Es ist ein Sieg der Pressefreiheit und ein Vorzeichen für den Wirbel, den eine kleine Zeitung noch in der Öffentlichkeit Kataloniens anrichten wird: Am Dienstag sprach ein Berufungsgericht in Barcelona die Gratiszeitung Café amb llet (Kaffee mit Milch) vom Vorwurf der Rufschädigung und einer Geldstrafe über 10.000 Euro frei. Auch das Internetvideo namens „Der größte Raub in der Geschichte Kataloniens“, mit dem das Blättchen im März 2012 auf einen Schlag berühmt wurde, darf wieder online gehen. „Wir sind sehr zufrieden“, sagt Redakteur Albano Fachin gegenüber der taz. Das Urteil habe Signalwirkung für Äußerungen des „steigenden sozialen Unbehagens“. Der 37-Jährige und seine Lebensgefährtin, die Café amb llet führen, werden sich nun noch stärker brennenden sozialen Themen widmen. Die Karriere der kleinen Zeitung aus dem Speckgürtel Barcelonas ist noch lange nicht zu Ende.

„Die Geschichte von Café amb llet ist seltsam und sehr interessant“, sagt Oriol Güell, Redaktionsleiter von Spaniens größter Tageszeitung El País in Barcelona. „Sie war eine lokale Zeitschrift, die über das informierte, was in den Dörfern ihrer Gegend passierte. Als sie Angelegenheiten der dortigen Krankenhäuser untersuchte, bemerkte sie Intransparenz und Unstimmigkeiten bei bestimmten Haushaltsposten. Sie begann, darüber zu berichten, in einem sensiblen Moment für das spanische Gesundheitssystem.“ Güell meint die Privatisierungen und Einsparungen, die seit 2010 landesweit zu Kämpfen im öffentlichen Gesundheitssystem führen. Café amb llet schlug da ein wie eine Bombe. Die von Laien gemachte Zeitung brachte ab 2011 ans Licht, dass nicht einmal das Regionalparlament befugt ist, alle Verwaltungsvorgänge im katalanischen Gesundheitssektor einzusehen.

„Die Regionalregierung verwaltet nicht direkt die Krankenhäuser, sondern finanziert sie nur, während öffentlich-private Einrichtungen die Verwaltung besorgen“, erklärt Oriol Güell. „Das hat in den letzten Jahren zu deutlicher Intransparenz geführt: Vertragsvergaben ohne Ausschreibung; Zahlungen an Verwalter, die viel höher waren als bekannt; Geld, das in Investitionsgeschäften verloren wurde und so weiter.“ Güell kontaktierte Café amb llet nach dem Erscheinen des besagten Videos, um sich zusammenzutun. In diesem Video finden Leute aus hohen Wirtschafts- und Politikkreisen kritische Erwähnung. Einer von ihnen verklagte Café amb llet wegen Rufschädigung und erwirkte – zur Überraschung vieler Fachleute und zur Empörung von Reporter ohne Grenzen – die erwähnte Geldstrafe.

Das kämpferische Paar entschied sich daraufhin für eine ungewöhnliche Spendenkampagne, wie Fachin berichtet: „Wir sagten: Anstatt die 10.000 Euro zu sammeln, um die Strafe zu bezahlen, sammeln wir sie, um ein Buch zu produzieren, und jeder, der 15 Euro gibt, kriegt ein Buch, in dem alles steht, was wir in dem Video nicht erklären konnten.“ Der Überschuss aus dem Buchverkauf sollte für die Geldstrafe reichen. Über Crowdfunding kamen die 10.000 Euro in zwölf Stunden zusammen.

Das für die Geldstrafe eingeplante Geld wird nun in das nächste große Projekt gesteckt: Anfang Februar hat Café amb llet ein Crowdfunding für eine temporäre Ausweitung ihrer Auflage gestartet. Sie will vier Ausgaben in mehr Regionen Kataloniens verbreiten, um kritische Infos zu streuen, die die großen Zeitungen nicht verbreiten. Je 145.000 Exemplare sollen gedruckt werden, was die höchste Auflage Kataloniens sein soll. Die dafür nötigen 25.000 Euro waren schon am neunten Tag nach Start der Kampagne zusammen.