Atom-Gipfel in Merkels Kanzleramt

„Wer AKW-Laufzeiten verlängert, verkürzt seine Regierungszeit“ – sagt Jochen Stay von der Anti-Atom-Organisation „ausgestrahlt“. Das Gros der Bevölkerung sei gegen Atomkraft. Er will Druck machen auf die schwarz-gelbe Koalition – wie 2.000 Mitstreiter, die vor dem Kanzleramt in Berlin Luftballons aufsteigen lassen und tröten.

Sonntag, CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel hat zum Spitzentreffen geladen, erst sind nur Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP), Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) da. Später kommen die Partei- und Koalitionschefs von FDP und CSU hinzu. Die Männer sollen sich nach wochenlangem, öffentlichen Streit endlich einigen: Wie viel Zukunft hat die Atomkraft?

Nach derzeitiger Rechtslage müsste der letzte der 17 deutschen Reaktoren etwa 2023 vom Netz gehen. Schwarz-Gelb hat aber schon im Koalitionsvertrag festgelegt, diesen Atomausstieg rückgängig zu machen und die Atomkraft als „Brückentechnologie“ zu nutzen, „bis sie durch erneuerbare Energien verlässlich ersetzt werden kann“. Nur: Den Satz interpretierte jeder anders in der Koalition.

12 Jahre länger am Netz

Am Sonntagnachmittag zeichnete sich diese Auslegung ab: Im Schnitt sollen die Reaktoren zehn bis zwölf Jahre länger am Netz bleiben. Jedoch sollen die Laufzeiten gestaffelt werden, jüngere Meiler länger als alte laufen dürfen. Darüber hinaus wollte Merkel klären, wie die Atomkonzerne für längere Laufzeiten zur Kasse gebeten werden. Im Gespräch ist seit Längerem eine Atomsteuer, die 2,3 Milliarden Euro pro Jahr bringen soll, aber zeitlich befristet ist. Zudem müssen sich die Konzerne auf Nachrüstkosten einstellen, damit ihre Meiler gegen Abstürze von Flugzeugen gesichert sind. Für 12 Jahre Laufzeitverlängerung haben Gutachter der Regierung 20,3 Milliarden Euro veranschlagt.

Brüssel wird prüfen

Die entscheidende Frage für Schwarz-Gelb lautet aber: Wie sieht eine Lösung aus, bei der der Bundesrat nichts zu sagen hat. Dort gilt ein Veto als sicher. Denn den Ländern obliegt die Atomaufsicht, darum pocht etwa Rheinland-Pfalz darauf, an der Entscheidung beteiligt zu werden, und hat Verfassungsklage angekündigt. Auch Brüssel könnte ein Mitspracherecht haben. Die EU-Kommission müsse gemäß Euratomvertrag Neuregelungen, die zu mehr radioaktivem Abfall führen, absegnen, heißt es in einem Greenpeace-Gutachten. Die Atomnovelle wird noch Zeit brauchen. SPD und Grüne kündigten wegen des Ausstiegs aus dem Atomausstieg einen „heißen Herbst“ an. SPD-Chef Sigmar Gabriel: „Ohne Not bricht die Bundesregierung einen der größten gesellschaftlichen Konflikte der Bundesrepublik wieder auf.“ Schon am 18. September werden Atomkraftgegner wieder in Berlin sein und das Regierungsviertel umzingeln. HANNA GERSMANN