LESERINNENBRIEFE
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Finger in die Wunde gelegt

■ betr.: „Die eugenischen Vordenker“, taz vom 3. 9. 10

Wenn man den ganzen genetisch/eugenischen Quatsch mal weglässt, dann muss man zugeben,dass Sarrazin den Finger in eine reale Wunde gelegt hat. Was wir brauchen ist Bildung, und zwar frühkindliche Erziehung für alle. Sprache! Ganztagskindergärten und Ganztagsschulen! Intelligenz kann man lernen, fördern, trainieren. (Wir müssen aber nicht leugnen, dass Begabungen auch angeboren sind.) Als 68er haben wir noch gedacht Umwelt/Sozialisation sei alles! Aber diese Angebote – so es sie gibt – müssen auch angenommen werden, verpflichtend sein (auch für die „deutsche“ Unterschicht). KLAUS BELLASIO, Hamburg

Sarrazin, armes Europa!

■ betr: „Aufklärung und Zucht und Ordnung“ u. a., taz vom 3. 9. 10

Warum ist die Debatte über Sarrazin so zahnlos, larmoyant und defensiv? Weil sie nicht um Europa geführt wird, und weil die derzeitige Europadebatte genauso ziel- und mutlos ist. Die europäische Kultur hat ihre ersten Anfänge im östlichen Mittelmeerraum genommen, dort sind ihre sämtlichen Wurzeln, und um den Mittelmeerraum hat sich die europäische Kultur seit über 3.000 Jahren ausgebreitet – als kontinentale Kultur in der griechisch-römischen Zeit, mit noch heute zum Teil weltweit gültigen moralischen, rechtlichen und politischen Vorstellungen und dann in den jüdischen, christlichen und islamischen Traditionen. Alle drei europäischen Religionen haben dieselben Wurzeln. Die Bemühungen, das Christentum heute als zentrale Idee der europäischen Kultur zu etablieren, ist absurd, aber von bekannten partikularen Interessen geleitet. Die Aufklärung, auch wenn sie nicht überall angekommen ist, und noch immer bekämpft wird, hat schon vor dreihundert Jahren den Versuch gemacht, die drei Religionen zu versöhnen (Nathan der Weise).

Das „alternde Europa“ kann sich nur vitalisieren, wenn es sich um die Integration der Mittelmeervölker bemüht. Sonst wird Europa mit seinen letzten osteuropäischen Beitritten, die sich und ihr Europäertum als Bollwerk gegen den Islam verstehen, weiter dahinsiechen. Nur eine vitale und auf den östlichen Mittelmeerraum fokussierte Europapolitik kann wieder Begeisterung für Europa erzeugen. BURKHART BRAUNBEHRENS, Ebertsheim

Der bigotte Heuchler

■ betr.: „Abschied eines Demagogen“, Kommentar von Ulrike Herrmann, taz vom 3. 9. 10

Tatsächlich reicht der Raum von der Mitte unserer Gesellschaft aus weit nach rechts außen. Allein beim Lesen der Münchner Zeitungen kann ich eigentlich nur feststellen, dass wir deutschen Bundesrepublikaner/innen dem Herrn Thilo Sarrazin wirklich dankbar sein müssen für sein öffentliches Denken, Reden und Schreiben. Da lockt er doch tatsächlich aus der deutschen Volksseele die Stimmungen und Meinungen hervor, die gemeinhin unter der Wattedecke der Political Correctness gut verborgen schienen.

Und jetzt plötzlich muss sich die offizielle Politik, angefangen mit der Bundeskanzlerin bis hin zum kleinsten SPD-Ortsverein, mit dem „Integrationsproblem“ beschäftigen: Herr Sarrazin mag die Millionen von Menschen nicht, die damals hier im Nachkriegsdeutschland als „Gastarbeiter“ angefangen haben, als kleine Rädchen im Wirtschaftsgetriebe der früheren „Deutschland AG“ die Wirtschaftswunderzeiten zu verlängern. Diese Menschen wollen jetzt doch tatsächlich (allen Widrigkeiten zum Trotz) hier bleiben. Jetzt muss sich die Politik ernsthaft und wirksam mit diesem menschlichen Problem (?) beschäftigen. Thilo Sarrazin – der große Integrator!

Wie der Herr Sarrazin noch Berliner Finanzsenator war, hätte er ganz viele Möglichkeiten gehabt, eine erfolgreiche Integrationspolitik zu finanzieren: Beginnend mit der Kindergarten- und Vorschulförderung über Ganztagsschulen bis hin zu VHS-Kursen wäre dieses Modell der „Bildungsrepublik Deutschland“ was echt Schönes gewesen. Aber Herr Sarrazin gefiel sich selbst damals in seiner Rolle als Sparzuchtmeister viel besser. Thilo Sarrazin – der bigotte Heuchler.

HERBERT GERHARD SCHÖN, München

Thesen eines merkwürdigen Herrn

■ betr.: „Der Fall Sarrazin: Redefreiheit ohne Qualitätskontrolle“, sonntaz vom 4. 9. 10

Merkwürdigerweise hat Sheila Mysorekar genau das geschrieben, was ich seit einigen Tagen über den Fall Sarrazin denke. Eigentlich wollt ich mich gar nicht zu diesem Fall äußern, aber dieser Kommentar ist einfach Spitze … Mir wird einfach nur schlecht, wenn ich die Thesen von diesem merkwürdigen Herrn lese oder im Fernsehen höre! Im Übrigen, seine Äußerungen mit den Genen erinnern mich sehr stark an den Sprachgebrauch im Nazireich! Wie kann so ein Mensch Mitglied in der SPD sein? MARTIN BRÖMER, Iserlohn

Integration kaputt gespart

■ betr.: Integrationsproblem

Warum Integration nicht funktioniert? Ganz einfach: Der Staat spart die Integrationskurse kaputt. Ab jetzt werden die Fahrtkosten für die Teilnehmer nicht mehr ersetzt. Sie müssen das Monatsticket ab jetzt von ihrem ALG II bezahlen. Viele werden also nicht mehr kommen, weil sie es sich nicht mehr leisten können. Da wird am falschen Ende gespart. Bald wird die Hälfte der Kursträger zumachen und viele Leute werden arbeitslos werden. GEORG NIEDERMÜLLER, Essen!