MICHAEL STRECK über TRANSIT
: Scrabble im Mallorca-Shuttle

Eine Sache haben Terroristen nicht auf ihrem Radarschirm: die bevorstehende Humanisierung unseres Fluglebens

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in der Abflughalle im Flughafen Oslo. Es ist Januar, draußen Eis und Schnee. Sie sind aber auf dem Weg in die Karibik. Darum tragen Sie ein Hawaiihemd, Shorts und Handgepäck. Sie sehen etwas libanesisch aus oder persisch, irgendwie dunkel. Einige Mitreisende wundern sich über Ihre Kleidung, kombinieren scharfsinnig Winter, Shorts, nix Koffer, dunkelhaarig: Der Mann will doch den Flieger nicht mehr lebend verlassen, aha, ein Selbstmordattentäter. Den lieben langen Flug werden Sie von den Reisenden misstrauisch beäugt, die jederzeit bereit sind, sich auf Sie zu stürzen, Sie zu knebeln und, wenn es sein muss, in die ewigen Jagdgründe zu schicken.

Oder Sie sitzen mit Lederjacke im Flieger von Spanien nach London. Es ist Sommer, heiß draußen, aber Sie wissen, in wenigen Minuten drückt die Klimaanlage die Temperatur auf 17 Grad. Also lassen Sie ihre Jacke an, klar. Dumm nur, dass Sie wieder diesen persischen Einschlag haben und unrasiert sind. Passagiere fangen an, mit dem Finger auf Sie zu zeigen, drohen der Besatzung, auszusteigen, sollte man Sie nicht entfernen, verhören und wegsperren.

So tatsächlich geschehen vor zwei Tagen in Malaga, als Passagiere sich weigerten mitzufliegen, immer mehr die Maschine verließen und die Flughafenbehörden zwangen, zwei „asiatisch“ aussehende Fluggäste mit angeblich arabischem Zungenschlag aus dem Flugzeug zu werfen. Die beiden wurden verhört, hatten weder Plastiksprengstoff noch Nagellackentferner im Handgepäck und konnten erst einen Tag später ihre Reise fortsetzen. Auch die Meuterer hatten nicht wirklich Freude, verzögerte sich ihr Abflug doch um mehrere Stunden.

Halten wir fest (neben der nicht ganz unbeängstigenden Feststellung, dass Big Bin Laden sich in irgendeiner Strandwohnung die Hände reibt, da sich die Westler gerade ihren Way of Life nehmen lassen und längst die Dschihadisten Tempo und Richtung unseres Sein diktieren), dass folgende Gegenstände nicht mehr an Bord eines Flugzeuges mitgenommen werden dürfen: Hawaiihemden im Winter, Lederjacken im Sommer, Nagellack und Shampoo immer, Bärte und batteriebetriebene Geräte jeder Art sowieso nicht. Doch nichts wiegt so schwer, wie Laptops aus der Businessclass zu verbannen.

Ich weiß nicht, ob Ihnen die Tragweite dieser Entscheidung überhaupt schon bewusst geworden ist. Falls nicht, will ich Sie Ihnen hiermit gerne eröffnen.

Seit Jahren basteln Fluggesellschaften daran, ihre Maschinen mit fixen Internetverbindungen auszustatten – der vorerst letzte Schrei ist es, Sie während der Reise in der Luft nicht mehr von der Büro- und E-Mail-Kommunikation und dem Börsenhandel abzuschneiden. Ein Flug ohne den Laptop ist für Geschäftsleute, Manager und Kongressbesucher wie ein Sommerurlaub ohne Sonne: Betrug und rausgeschmissenes Geld. Zehnstundenflüge nach Schanghai, ohne die PowerPoint-Präsentation noch fertig zu machen? Undenkbar. Kann es, da wir uns alle daran so gewöhnt haben, ein Zurück geben? Und wenn Sicherheitsgurus nun ein Ende des Laptops im Flugzeug prophezeien, werden wir dann weniger fliegen?

Vielleicht wird es mehr Videokonferenzen geben. Auch nicht schlecht angesichts überlasteter Flughäfen und Klimawandels. Ansonsten werden sich die Menschen brav fügen. Denn Angst ist zwar ein schlechter Ratgeber, doch ein gefügig machender Flugbegleiter. Sie werden also mal wieder ein Buch lesen, sich hemmungslos Gala und Cosmopolitan hingeben. Vielleicht werden Fluglinien mehr Alkohol ausschenken.

Doch wenn es sogar Italiener schaffen, ihr Mobiltelefon an Bord auszuschalten und es mehrere Stunden ohne Mama aushalten, dann schafft es der Rest der Welt auch ohne Laptops. Dann werden nicht nur, wie derzeit in Großbritannien, Mobilfunkfirmen ihre Kunden auffordern, Handys auch mal wegzuschließen (Antiwerbung als cleverste Werbung) und sich stattdessen der Familie, den Kindern und Mitmenschen zu widmen. Dann könnten auch Fluggesellschaften ihrem zweiten Wortteil zu neuer Bestimmung verhelfen: der Gesellschaft einen neuen Sozialraum geben. Qualitätszeit buchen auf einem Langstreckenflug.

Dann gibt es ein Familienreich mit Kinderspielwiese im neuen Superairbus, Scrabblepartien im Mallorca-Shuttle, Tangokurse Richtung Helsinki, interkulturelle Begegnungsabende nach Dubai und so weiter.

Tja, Bombenbauer, diese Humanisierung unseres Fluglebens hattet ihr wohl nicht auf dem Radarschirm.

Fotohinweis: MICHAEL STRECK TRANSIT Fragen zu Mitfliegenden? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN