Die Pianistin von Theresienstadt

Das Klavier hat sie bis in die Hölle begleitet. Damals, 1943, wurde die gebürtige Pragerin Alice Herz-Sommer von den Nazis nach Theresienstadt deportiert. Zehntausende starben im Ghetto, weitere 80.000 Juden wurden in die Vernichtungslager im Osten in den Tod geschickt. Alice Herz-Sommer aber musste Chopin spielen. „Die Nazis wollten den Leuten vom Roten Kreuz weismachen, wie gut es die Juden in Theresienstadt hatten“, sagte sie. „So hatten wir ein Publikum von 150 alten, hoffnungslosen, kranken und hungrigen Menschen.“

Alice Herz-Sommer hat 107 Jahre lang Klavier gespielt. Im Alter von drei Jahren entdeckte ihre jüdische Familie ihre besondere Begabung. Das Elternhaus war ein offenes Haus. Sie lernte den Philosophen Felix Weltsch kennen, unterhielt sich mit dem Schriftsteller Max Brod und ging mit Franz Kafka spazieren. „Kafka war ein etwas seltsamer Mann“, erinnerte sie sich. „Er hat nicht viel geredet, er liebte die Stille und die Natur.“

Als der Erste Weltkrieg ausbrach, war Alice 11 Jahre alt. 1919 begann sie ein Studium an der Musikakademie und avancierte wenig später zu einer der bekanntesten Pianistinnen Prags und bald darauf Europas. Die Nazis sperrten sie und ihre Familie nach ihrem Einmarsch in Prag 1939 ein. Ihre Mutter wurde 1942 ermordet, der Ehemann Leopold starb in Dachau. Alice Herz-Sommer überlebte, zusammen mit ihrem sechsjährigen Sohn.

1947 emigrierte sie nach Israel, das damals noch Palästina hieß, und traf dort die Überlebenden aus ihrer Familie. Sie unterrichtete an einem Konversatorium in Jerusalem. „Das war die schönste Zeit meines Lebens“, sagte sie einmal. 1986 folgte sie ihrem Sohn, einem Cellisten, nach London. Und sie spielte weiter auf ihrem Klavier. Der Sohn verstarb, Alice Herz-Sommer aber blieb. Gefragt nach einem Rezept für ein so langes Leben, sagte sie: „Optimismus. Ich schaue nach dem Guten.“

Am Sonntag ist Alice Herz-Sommer im Alter von 110 Jahren verstorben.

Sie wird weiterleben. Schon am nächsten Sonntag. Dann hat der Film über sie – „The Lady in Number 6“ – bei der Oscar-Verleihung Chancen auf einen Academy Award. KLAUS HILLENBRAND