Spuren im Labyrinth

Händl Klaus schreibt über die allmähliche Austrocknung des Lebens und sein Gefrieren. Drei „Stücke“ des Dramatikers, teils schon mit Erfolg inszeniert, liegen jetzt als Buch vor: ein Versteckspiel mit dem Grauen und dem Tod

Ein abgetrennter Zeh – ohne Leiche – schiebt die Handlung in Richtung Kriminalistik

Bei kaum einem deutschsprachigen Gegenwartsdramatiker werden so viele Vergleiche aufgerufen, wenn über ihn geredet wird. Kein Wunder, denn der 1969 in Tirol geborene Klaus Händl, der sich als Stückeschreiber Händl Klaus nennt, hat Spuren von Poe und Kafka bis zu Hitchcock und Lynch in seine Stücke gelegt. Seit vor fünf Jahren die erste Uraufführung auf dem Festival „steirischer herbst“ zu sehen war, sind deshalb die Spurenleser aktiv. Und Händl Klaus legt immer neue Spuren dazu.

Tatsächlich lässt er seine Figuren in so beklemmenden Szenen entstehen, dass man sie erst einmal nur mit Spurenelementen beschreiben kann. In „WILDE/ Mann mit traurigen Augen“ steigt Gunter, um der Hitze eines überfüllten Zuges für wenige Augenblicke zu entkommen, am Bahnhof einer fremden Stadt aus und wird zum unfreiwilligen Gast der Brüder Hanno und Emil. Obwohl Händl auf alle Beschreibungen körperlicher Gewalt verzichtet, stellt er eine Atmosphäre des Grauens her. Wie böse Aufziehpüppchen beteuern die Brüder in einer rhythmisierten Wechselrede ihre Gastfreundschaft und enthüllen dabei das Regelwerk eines Familienlebens, das längst erledigt ist und nur unheimliche Zwangsmechanismen zurückgelassen hat. Unklar bleibt, welche Rolle Gunter in dieser kollabierten Zivilisation spielen soll, das – um eine neue Spur zu benennen – Beckett alle Ehre gemacht hätte.

Auch in seinem jüngstem Stück, „Dunkel lockende Welt“, arbeitet Händl mit den Versatzstücken des Unheimlichen: Ein Mann, der nicht nur die Kleidung, sondern auch die Haare seiner toten Mutter konserviert, wird in einem Haus platziert, das nur noch von Bücherregalen vor dem Zusammenbruch bewahrt wird. Der abgetrennte Zeh ohne dazugehörige Leiche schiebt die Handlung zwar ein gehöriges Stück in Richtung kriminalistisches Kammerspiel. Doch auch davon ist nur eine poröse sprachliche Oberfläche geblieben, die von den Figuren zwar mit aller Anstrengung aufrechterhalten wird, durch die man aber ihre Abgründe nur allzu deutlich erkennen kann.

Die beiden Stücke, die 2004 und in diesem Jahr jeweils unter der Uraufführungsregie von Sebastian Nübling zum Berliner Theatertreffen eingeladen waren, sind nun in gebundener Form und gemeinsam mit der ersten dramatischen Veröffentlichung Händls, den Monologen „Ich ersehne die Alpen; So entstehen die Seen“ im Literaturverlag Droschl erschienen. Auch wenn es sich nur um drei Stücke handelt, so zeigt diese Zusammenstellung doch schon so etwas wie eine Entwicklung. Während die Figuren in „WILDE“ und „Dunkel lockende Welt“ bis zur Atemnot in ein strenges sprachliches Korsett eingeschnürt sind, stockend und immer nah am Verstummen, lesen sich die frühen Monologe Händls noch wie Ausbrüche einer großen Sprachlust, mit der sich die Figuren gegen die eigene Auflösung – diesmal vor der Kulisse des Alpenpanoramas – zur Wehr setzen.

Zwar ist Händls Blick auf die Welt überall ähnlich düster. Aber die Virtuosität und der Witz von „Ich ersehne die Alpen; So entstehen die Seen“ weist ihn als einen Sprachkünstler aus, wie man ihn in der gegenwärtigen Dramatik nur selten findet. Reimend und kalauernd schickt Händl seine Figuren durch Textlabyrinthe und zeigt sie mit jeder sprachlichen Ecke, um die er sie jagt, als tragische Gestalten. Den Leser können sie vielleicht, den Tod aber können sie mit ihrer Redewut keinesfalls in die Irre führen.

Händl Klaus schreibt über die allmähliche Austrocknung des Lebens und über sein Gefrieren. Wenn er in den beiden späteren Stücken seine Figuren mehr und mehr verstummen lässt, dann zeichnet er diesen Prozess des Verschwindens nach. Das wirkt dann, wo es ins Extrem getrieben ist, vielleicht ein bisschen leblos. Man kann also nur hoffen, dass er das nicht noch bis in jene Zonen treiben will, in denen alles gleich zu Tode erstarrt. Man möchte ja auch nächstens noch ein bisschen Spurenleser spielen dürfen. Und sei es auch nur, um aus Händls Labyrinthen wieder rauszufinden. WIEBKE POROMBKA

Händl Klaus: „Stücke“. Literaturverlag Droschl, 152 Seiten, 16 €