LESERINNENBRIEFE
:

Öffentliche Bühne nicht verdient

■ betr.: „Ich habe lange mit mir gerungen“, taz vom 28. 8. 10

In keinem Land dieser Welt kann man sicher verhindern, dass es Menschen gibt, die – aus welchen Motiven heraus auch immer – Teile der Bevölkerung diffamieren, beleidigen und verunglimpfen wollen. Was man jedoch verhindern könnte, ja in einem zivilisiert-demokratischen Land verhindern müsste, ist, ihnen eine Bühne zu bieten. Insofern ist es kein Skandal, dass ein Herr Sarrazin, welche Ämter er auch bekleidet hat und weiterhin bekleidet, so denkt. Denn ein akademischer Abschluss oder ein hohes Amt macht einen Menschen nicht unbedingt intelligenter. Der Skandal ist, dass ein renommiertes Verlagshaus und zwei große Blätter eines Landes, in dem vor nicht allzu ferner Vergangenheit die Mitglieder einer anderen Bevölkerungsgruppe diffamiert, verfolgt und umgebracht wurden , ihn tatkräftig dabei unterstützen, sein Gift unter das Volk bringen.

Und all denen, die diese „Unterstützung“ mit dem Argument der Meinungs- und Pressefreiheit verteidigen, sei gesagt, dass diese beiden Primärrechte einer offenen, demokratischen Gesellschaft dort ihre Grenzen finden, wo die Spaltung einer Gesellschaft und das Aufeinanderhetzen der sie bildenden Bevölkerungsgruppen anfängt bzw. wo die Berufsethik der Presse aufhört und die Profitsteigerung eines Wirtschaftsunternehmens anfängt. Hassprediger, ob im Mantel eines muslimischen Vorbeters oder eines Vorstandsmitglieds der Deutschen Bundesbank, sind dumm gebliebene, antisoziale Menschen, die keine öffentliche Bühne verdienen.

ISMAIL BORO, Kümmritz

Die Aufklärung ist gescheitert

■ betr.: „Sarrazin mutiert zum Genforscher“, taz vom 30. 8. 10

Die medialen Inszenierungen um den Herrn Sarrazin betreiben ihr eigenes Geschäft. Das Problem sind nicht die Äußerungen von Personen, sondern es ist eine Aufmerksamkeitssteuerung, die sich an der Prominenz einer Person und nicht an der Qualität des Inhalts orientiert. Die Medien erregen sich über die von ihnen geschaffene Erregung – der Skandal wird sein eigenes Thema, die Aufklärung ist gescheitert. KLAUS BECKER, Bergisch-Gladbach

Pumpernickel und Handkäs

■ betr.: „Baked Beans gegen Heimweh“, sonntaz vom 21. 8. 10

Wenn Briten sich in Frankreich nach der heimischen Küche sehnen, erzeugt das bei mir eine Gänsehaut, denn ich erinnere mich gut britischer Angriffe auf meine Geschmacksnerven, beispielsweise mittels eines sehr ordentlichen Backfischs – aber garniert mit Erdbeeren! Aber wahrscheinlich ist täglich zu beobachtender Sprachmangel die Ursache.

Wer auf der Speisekarte nur Steak und Pizza identifiziert und sich wochenlang davon ernährt, hat wohl den Eindruck, die französische Küche sei „wenig abwechslungsreich“, ganz abgesehen davon, dass nur Italiener eine ordentliche Pizza backen können. Allein Franzosen stellen das in Abrede. Man muss schon ein bisschen Französisch können, um zu wissen, dass sich hinter dem Begriff „Navarin“ ein köstlicher Lammeintopf verbirgt, ein Gericht zum Niederknien, ganz ehrlich. Ein Problem ist das Brot, zugegeben. Alle Menschen hier, außer natürlich Franzosen, finden Baguette auf die Dauer langweilig und öde. Aber es gibt Mischungen zum Selberbacken, meist belgischer Provenienz, die dieses Problem angehen.

Wenn ich mal in Deutschland bin, habe ich natürlich auch einen Einkaufszettel in der Tasche, um solche Köstlichkeiten wie Pumpernickel (ich bin gebürtiger Münsterländer!), Fischkonserven mit verschiedenen Saucen, Handkäs, Rollmops und superfette Pfälzer Leberworscht (ächz, lecker) und Rindswurst von Gref-Völsings in Frankfurt am Main zu erstehen. Und selbstverständlich finden auch ein paar Flaschen Weizenbier den Weg ins Auto, denn der Bierfreund kann sich seit einiger Zeit in Frankreich bis in der letzten Provinzecke an gutem belgischem Bier (fast so gut wie englisches!!) laben, aber Weizenbier … Und natürlich habe ich Riesling von Saar, Mosel und Rhein im Keller und kann dann mit Vergnügen den gleichen gottergebenen Blick bei Franzosen entdecken, wenn ich deutschen Wein kredenze, wie ich ihn bei der Annäherung an britische Küchen-Highlights habe. Und viel Vorsicht.

Also Heimweh habe ich noch nicht eine Minute in meinem herrlichen Gastland gespürt, obwohl der derzeitige Staatspräsident … Na, das lassen wir jetzt aber lieber.

GEORG NEEMANN, Villeneuve sur Lot, Frankreich

Reproduktionsarbeit aufwerten

■ betr.: „Die Zügel von Mutter Natur“, sonntaz 28. 8. 10

Ich finde es empörend, wie Frauen hier runtergemacht werden und Funktionalität im Sinne der kapitalistischen Klassengesellschaft propagiert wird. Frauen, die es nicht schaffen, sowohl Kind(er) als auch Lohnarbeit zu bewältigen, und sich deswegen für eins von beidem entscheiden, sind demnach unemanzipiert oder ideologisch verbrämt. Kinder großziehen ist eine schöne, aber anstrengende Tätigkeit; besonders wenn daran ein gewisser Anspruch geknüpft ist. Sind beide Eltern in Lohnarbeit und verdienen damit genug Geld, kaufen sie sich in der Regel die Dienstleistung von Tagesmüttern/ErzieherInnen und Putzhilfen. An sich kein Problem, aber diese „Frauen“-Arbeiten werden meist schlecht bis miserabel bezahlt. Frauen- und letztlich menschenfreundlich ist die alte feministische Forderung, die Reproduktionsarbeit aufzuwerten: ideologisch und finanziell. Wer auch immer dann dafür zuständig ist, sollte Wertschätzung erfahren. KATHARINA SCHREINER, Ahrensburg