Eintauchen in die irrationale Welt

Im Theaterpädagogischen Zentrum in Köln üben Manager, Lehrer und Polizisten den Gang auf die Bühne. Die Laien spielen so gut, dass ihre Aufführungen ausgebucht sind. „Die Menschen kriegen hier ihren Kopf frei“, sagt Leiterin Angelika Pohlert

VON LUTZ DEBUS

Ein großer Raum mit weißen Wänden, hoher Decke, Holzfußboden: Eine Gruppe von zwölf Erwachsenen schreitet stumm umher. Plötzlich ergreift einer der Gehenden einen in der Ecke liegenden Schuh, hält ihn in die Höhe und ruft: „ Schaut! Das ist ein Schiff!“ Eine alltägliche Szene im Theaterpädagogischen Zentrum (TPZ) in Köln. Diese Übung, so erklärt Angelika Pohlert, künstlerische Leiterin der theaterpädagogischen Ausbildung, ermögliche Menschen, ihren Kopf frei zu machen. Gerade Lehrer, die es gewohnt sind, die Welt rational zu begreifen, haben es als Schauspieler schwer. Und es sind eben zu einem großen Teil Pädagogen, die diese berufsbegleitende Fortbildung machen. „Sie können nicht gut lügen“, lächelt die studierte Sozialarbeiterin. Lehrer mit langer Berufserfahrung denken oft in der Kategorie Richtig-Falsch. Damit allerdings komme man im freien Theaterspiel nicht weiter.

Warum aber tun sich diese Menschen das dann an? Manche Lehrer, so Angelika Pohlert, hätten in ihrer Kindheit oder Jugend den Traum gehabt, Schauspieler zu werden. Doch dann hätte man sich für die Sicherheit einer Beamtenlaufbahn entschieden. Wenn der Wunsch, Theater mit den SchülerInnen zu machen, ohne fundierte Begleitung verwirklicht wird, kommen oft recht frustrierende und traurige Ergebnisse auf die Bühne. Eine Teilnehmerin berichtete von ihren Versuchen, in einer Gesamtschule Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“ zu inszenieren. Schüler gingen, die Lektüre in der Hand haltend, den Text ablesend, von links nach rechts, dann wieder von rechts nach links. Theater also, wie es nicht sein sollte. So ist die Fortbildung im TPZ für viele eine Offenbarung. Im ersten von zweieinhalb Ausbildungsjahren werden nur die schauspielerischen Grundlagen vermittelt: Körperhaltung, Bewegung, Stimme, Rhythmik. Es gibt eben etliche Möglichkeiten zu behaupten, dass ein Schuh ein Schiff ist. Müdigkeit geht, Spontanität und Vitalität kommt, so umschreibt Angelika Pohlert den Gewinn einer solchen Qualifikation in Schlagworten. Nicht nur berufliche Kompetenzerweiterung sondern auch persönliche Entwicklung sei mit der Ausbildung zum Theaterpädagogen verbunden.

Auch mancher Schauspieler mit Ausbildung am Max-Reinhardt-Seminar und langer Bühnenerfahrung ist unter den Lernenden in Köln. Wer jahrelang Goethes Faust gespielt habe, könne noch lange kein Gewaltpräventionsprojekt an einer Hauptschule durchführen. Die Schauspieler unter den Lernenden, so Angelika Pohlert, müssen oft noch geerdet werden. Denn Theaterpädagogik finde nun einmal nicht in elitären Zirkeln statt. Schauspieler müssten erst lernen, was Lehrer täglich erfahren: Heutzutage falle es gerade sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen schwer sich zu konzentrieren, bei einer Sache zu bleiben. Hier sei die Aufgabe des TPZ, dafür zu sorgen, dass die zukünftigen Theaterpädagogen nicht zu hohe Erwartungen an ihr Schüler haben.

Aber nicht nur Pädagogen und Theaterleute machen im TPZ ihre Ausbildung. Ein Polizist ist auch dabei. Er möchte für seine kriminalpräventive Arbeit mit Schulklassen mehr im Angebot haben als Referate. Und der Mitarbeiter eines Reiseveranstalters übt für seine Krimireisen nach Schottland. Ein Gespenst, ein Mörder oder ein Seeungeheuer muss ja glaubwürdig rüberkommen. Sogar große Firmen haben die Theaterpädagogik entdeckt. Leitende Manager schickt man, damit sie kreativ bleiben, entweder auf einen Segeltörn oder in die Theaterpädagogik.

Am Ende des ersten Ausbildungsjahres stehen dann die Seminarteilnehmer tatsächlich auf der Bühne. Im Haus des TPZ gibt es einen Theaterraum mit 60 Plätzen. Nicht nur wegen des großen Andrangs, auch, um ein kleines Maß an Routine im Schauspielalltag zu bekommen, müssen die angehenden Theaterpädagogen an sechs Abenden ein Stück vorspielen, das sie zusammen eingeprobt haben. Trotz manch klassischer Vorlagen entstehen doch immer äußerst sehenswerte Unikate, die sich mit Inszenierungen anderer Kölner Theater durchaus messen lassen können. Für manchen Schauspielliebhaber sind die Vorführungen des TPZ sogar zum Geheimtipp avanciert. Da wurde aus Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“ ein Emanzipationsdrama der besonderen Art. Sowohl die liebliche Bianca wie auch die widerborstige Katharina wurden von Männern gespielt. Alle in der klassischen Vorlage auftretenden Männerrollen wiederum wurden von Frauen besetzt.

Diese ungewöhnliche Idee entstand, weil die Ausbildung von viel mehr Frauen als Männern absolviert wird. Aber schnell zeigte sich, dass der Rollentausch einen eigenen Charme hatte. Aus dem arg chauvinistischen Bühnenwerk wurde eine Emanzipationskomödie. Unter Sonnenschirmen wirkten die männlichen Hauptdarstellerinnen, mit Boxershort und Unterhemd bekleidet, sehr feminin. Und die Frauen wiederum mussten, um ganze Kerle zu sein, schwere Springerstiefel tragen.

Im zweiten Jahr der Ausbildung machen die Teilnehmenden dann Erfahrungen als Regisseure. Neben Techniken wie Schminken, Beleuchtung und Bühnenbild muss dann jeder eine eigene Regiearbeit vorlegen. Die theaterpädagogisch tätigen Regisseure arbeiten aber nicht mit ausgebildeten Schauspielern sondern mit echten Anfängern. „Kinder neigen ja dazu, sich ein Wölfchen zu quatschen“, sagt Angelika Pohlert. Aus der Fülle verschiedenster, auch chaotischer Ideen müssen prägnante Dialoge destilliert werden. All das klinge mühsam, sei aber letztlich eine Mordsgaudi. Besonders an den nun überall beginnenden offenen Ganztagsschulen in NRW gibt es einen großen Bedarf an Pädagogen, die Theater machen.

Das TPZ läd zum 25. Geburtstag zu einer Schnupperwoche vom 5. bis 8.09.www.tpz-koeln.de