Darf man Nacktbilder von Kindern veröffentlichen?
JA

SCHUTZ Der Fall Edathy verunsichert nicht nur die Große Koalition, sondern auch Eltern. Manche diskutieren den Grenzbereich zur Kinderpornografie. Andere den zur Prüderie

Die sonntaz-Frage wird vorab online gestellt.

Immer ab Dienstagmittag. Wir wählen eine interessante Antwort aus und drucken sie die dann in der sonntaz.

www.taz.de/streit oder www.facebook.com/taz.kommune

Joachim Renzikowski, 52, ist Professor für Sexualstrafrecht in Halle-Wittenberg

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Es geht in dieser Diskussion nicht um das „aufreizende Zurschaustellen von Geschlechtsmerkmalen“ (Posing); das ist ganz klar Kinderpornografie. Davon abgesehen hat ohnehin niemand das Recht, eine andere Person – selbst in bekleidetem Zustand – ohne ihre Zustimmung abzubilden. Das ist das Recht am eigenen Bild. Was aber soll so schlimm daran sein, wenn jemand Kinderbilder betrachtet und auf diese Weise problematische Neigungen kompensieren kann? Hinter den Kriminalisierungsfantasien steckt in Wahrheit etwas anderes: Potenzielle Kinderschänder sollen unschädlich gemacht werden. Aber das Strafrecht bestraft die Tat, nicht die unmoralische Einstellung eines potenziellen Täters. Es gäbe sonst noch sehr viel mehr Dinge, die man verbieten müsste. „Prügel machen frisch und kregel. / Und erweisen sich probat. / Ganz besonders vor der Tat“ (Wilhelm Busch).

* Name ist der Redaktion bekannt, kommentierte auf Facebook

Natürlich gehört der Handel verboten! Aber Fotos vom nackten Nachwuchs fürs Familienalbum zu schießen, bleibt hoffentlich auch künftig erlaubt – alles andere wäre doch lächerlich. Schade wäre auch, wenn die erfrischende europäische Unbekümmertheit in Sachen öffentlicher Nacktheit verloren ginge und man bereits kleine Mädchen in Bikinis zwänge, um potenziellen „Spannerattacken“ vorzubeugen. Da ginge ein Stück Freiheit und Unbekümmertheit flöten. Den kindlichen Körper um jeden Preis zu verhüllen, würde ja gerade bedeuten, dass man ihn sexualisiert, ihn als potenziell erotisch einstuft und dadurch Kindern Hemmungen anerzieht. Das fände ich sehr bedauerlich für nachfolgende Generationen.

Ulrike Heider, 66, ist Autorin. Ihr Buch „Vögeln ist schön“ erscheint im März

Nacktheit ist nicht aufreizend. Erst die Unterdrückung von Sexualität macht aus Aktdarstellungen Pornos. Wer der Venus von Milo einen Bikini anzieht, macht ein Pin-up-Girl aus ihr. Wer bei unbekleidet abgebildeten Kindern die Schamstellen mit Balken versieht, macht Kinderpornos daraus. Wer die Veröffentlichung von Bildern nackter Kinder verbieten will, vermutet in jedem Erwachsenen, der sie knipst oder sieht, einen Sexualverbrecher. Warum diese hysterische Angst vor „Kinderschändern“? Weil, wie ich vermute, der herrschende Begriff von Sexualität so sehr mit Elementen von Gewalt, Schmerz und Demütigung durchsetzt ist, dass der Verdacht auf sexuellen Missbrauch gegenüber jedem geschlechtsreifen Menschen naheliegt. Das gilt für die pornografische Vorstellung von Sexualität, wie sie sich in „Shades of Grey“ offenbart, und es gilt ebenso für die (pseudo-)feministische mit dem Mann als geborenem Vergewaltiger.

Maximilian Madey, 19, ist Abiturient und kommentierte den Streit per Mail

Wir sollten auch die Betroffenen in die Debatte einbeziehen. Die meisten „Täter“ versuchen, eine geächtete Sexualität auszuleben. Ein Verbot ist keine Lösung. Vielmehr sollte es, ähnlich dem Konzept legaler Drogenkonsumräume, eine Internetseite geben, auf der man in einem bestimmten Rahmen solche Bilder zeigt. So bliebe – wenigstens bis bessere Therapiemöglichkeiten angeboten werden können – Menschen mit pädosexueller Orientierung eine legale, kontrollierbare Möglichkeit, ihrem Trieb nachzugehen.

NEIN

Annegret Kramp-Karrenbauer, 51, ist CDU-Ministerpräsidentin des Saarlands

Wir müssen über die problematische Grauzone reden, dass käuflich erworbene Nacktfotos von Kindern und Jugendlichen strafrechtlich nicht relevant sind. In dieser Hinsicht halte ich die gegenwärtige Regelung für nicht ausreichend. Wir dürfen die kommerzielle Vermarktung von Posing-Fotos von Kindern und Jugendlichen nicht bagatellisieren. Denn wir wissen, dass solche Bilder gemacht und verkauft werden, um das sexuelle Interesse von Erwachsenen zu befriedigen. Dies ist ein Verstoß gegen die Menschenwürde. Kinder sind die Schwächsten in unserer Gesellschaft. Sie brauchen den besonderen Schutz des Staates. Deshalb es ist es an der Zeit, dagegen anzugehen. Das Strafrecht muss verschärft werden.

Paula Honkanen-Schoberth, 62, ist Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes

Die massenhafte Produktion von Bildern und Filmen nackter Kinder mit dem Ziel der kommerziellen Ausbeutung verletzt die Würde der Kinder massiv und muss strafbar sein. Auch der Erwerb und Besitz von solchen Aufnahmen muss verboten werden, denn hinter jeder dieser Aufnahmen steht ein Kind mit seinem Schicksal. Dabei sollten nicht Dinge kriminalisiert werden, die zum täglichen Leben gehören – Familienfotos vom Strand sind etwas anderes, die Eltern verkaufen diese schließlich nicht massenweise im Internet. Aber auch Eltern müssen mit der Privatsphäre ihres Kindes sensibel umgehen. Sie sollten sich überlegen, wie ihr Kind sich in einigen Jahren fühlt, wenn es Fotos von sich in sozialen Medien entdeckt.

Christian Pfeiffer, 70, Direktor am Kriminologischen Forschungsinstitut in Hannover

Würden Sie Ihren elfjährigen Sohn gegen Geld nackt vor einer Kamera posieren lassen, damit ein Pädophiler das Bild beim Masturbieren nutzen kann? Wohl kaum. Sie möchten ja nicht, dass Ihr Kind als eine Art Sexware im Internet geordert werden kann. Doch wer als Käufer auftritt, fördert genau dieses. Hinzu kommt: Der Kameramann, der in Rumänien oder der Ukraine Eltern dafür bezahlt, dass er mit ihren Kindern Pornoszenen herstellen darf, wird bei dieser Gelegenheit als „Warming-up“ auch schlichte Nacktszenen aufnehmen. Die lassen sich ja ebenfalls gut verkaufen. Wer also solche Bilder kauft, unterstützt Kinderprostitution. Der Kinderschutz darf sich deshalb nicht auf den Kampf gegen die Kinderpornografie beschränken. Auch Herrn Edathys Verhalten als Kunde der kanadischen Firma sollte unter Strafe gestellt werden.

Christina Höser, 43, ist Leiterin der Agentur Modelzwerge. Sie hat eine Tochter

Als Leiterin einer Kindermodelagentur, Mutter einer Tochter und kritischer Mensch sage ich ganz klar Nein. In jeder Epoche und Herrschaftsform gab und gibt es eine Elite, die sich mit Geld und Macht alles kaufen konnte und kann. Kinder wurden und werden als Lustobjekte gehandelt. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts wurden Kinder im europäischen Raum nicht einmal als vollwertige Menschen gesehen und auch nicht so behandelt. Selbst wenn das heute kaum noch vorstellbar ist, sind Kinder immer noch der Gewalt, dem Zwang und dem Mutwillen Erwachsener unterworfen. Sie müssen in dieser Hinsicht besser geschützt werden. Das Veröffentlichen von Nacktbildern verletzt die Persönlichkeit und die Privatsphäre eines Kindes. Lasst das Kind volljährig werden und fragt es dann, ob es einer Veröffentlichung dieser Bilder zustimmt. Kaum eines wird diese Frage mit Ja beantworten.